KUNSTRADIO


PROJEKT TRANSIT:


ein symphonisches Radiostück in zwei Sätzen:
von ManfreDu Schu
1. Satz:
"Stretch Cadillac"


Listen


Ton: Notburga Coronabless & Ing. Gerhard Wieser
Eine Radioarbeit im Rahmen voneinem vom BMUK, Land Tirol und dem ORF-Landesstudio Tirol unterstütztem Verein zur Forderung und Realisierung von künstlerischen Projekten im elektronischen Raum, insbesondere im Raum der Massenmedien Radio und Fernsehen.

"Stretch Cadillac", der erste Satz von "Projekt Transit", ist zugleich die erste Radioarbeit einer ORF-KUNSTRADIO-Serie, in der Autoren, die an der RP4-Reihe mitgearbeitet haben, ihre zu Hörstücken verarbeiteten Ideen undAssoziationen zum Begriff "TRANSIT" vorstellen.

Die PROJEKT TRANSIT-Serie der RP4-Autoren entstand und entsteht in Koproduktion mit TRANSIT, dem Verein zur Förderung und Unterstützung von Künstlern, die in und mit Medien arbeiten.

"Stretch Cadillac" ist ein symphonisches StÜck und handelt von einer Reise der besonderen Art: der Philosoph Andreas Lindermayer und die Künstler Klaus ScherÜbel und ManfreDu Schu lassen sich von einem Chauffeur im Stretch Cadillac spazierenfahren. Die Stimmungsakustik dieser Reise wurde dabei aufgenommen, der Klang - das gleichmäßige Dahingleiten der Limousine exakt wiedergegeben. Darin vergegenwärtigt sich auch die Monotonie der Fahrt und die Athmosphäre zwischen den Wageninsassen. Auf einer zweiten Ebene erFÄHRT der Hörer einen Zustand der Illusion, der Stereotypisierung, in den die Benützer der Luxuskutsche offenbar geraten sind.

Die Sprache, die Kommunikation der "PSEUDOGRUPPE", wie M.Schu sie bezeichnet, reduziert sich auf ihre stimmliche Qualität. Als ein dem symphonischen Cadillac-Motorenklang gleichwertiges akustisches Element ist die Sprache aufzufassen: die Gespräche der KÜnstler und des Philosophen müssen nicht verstanden werden; ihre Anwesenheit allein genügt.

Diese TRANSIT-Tour im Stretch-Cadillac aus der Realität in einen künstlichen Raum, der von Vorurteilen und falschen Erwartungen determiniert wird, beinhaltet zugleich eine Anspielung auf die Rolle des Künstlers und seinen ihm auferlegten äußeren, aber auch inneren Zwängen.

Die Utopien sind geplatzt,
der Mensch (nach?) der
Postmoderne treibt durch
die Welt Im Bewußtsein
des Fragmentarischen
seiner Weitsicht.

In einem langgestreckten ("stretch") Cadillac lassen sich ManfreDu Schu, der Künstler Klaus Scherübel und der Philosoph Andreas Lindermayer durch Stadt und über Land chauffieren. Dokumentierende Reisehegleiter sind zwei Richtmikrophone: eines im Fahrgastraum, eines unter der Motorhaube des "Stretch" montiert.

Teil der Arbeit ist diese Information, die beim Informierten unwillkürlich ein Bild entstehen läßt, das unvermeintlich wohl mit Erwartungshaltungen verknüpft ist - etwa zwischen Hollywoodschinken, Kunstphilosophiedisput, Three men in a boat und "...drinnen saßen stehend Leute, schweigend ins Gespräch vertieft..." oszillierend, je nach Bildervorrat.

De facto passiert während dem 37-minütigen Hörstück, das ein Zusammenschnitt der Reiseaufnahme ist: nichts. Jedenfalls nichts gemäß der Erwartung. Kein Disput, keine Information, keine Verfolgungsjagd.... nur das von Stadt zu Land (= Autobahn) immer monotoner werdende Blubbern von 12 Zylindern und dann und wann eine eingestreute verbale Banalität, smallest talk, very boring.

Wahrgenommen werden Motorenklang und gelegentlich Stimmliebes, und allmählich erhalten diese Geräusche Eigenwert - das von uns zuerst aufprojizierte Bild der Bedeutungsschichten verblaßt und der "innere Klang", wie Kandinsky wohl gesagt hätte, tritt hervor, die Geräusche werden zu "rein sinfonischer Musik" - als Gegensatz zu Programmusik verstanden. Zugleich aber "erFÄHRT der Hörer einen Zustand der Illusion, der Stereotypisierung, in den die Insassen des Wagens offenbar geraten sind", schreibt ManfreDu Schu, was auch bedeutet, daß nun doch wieder "Bilder" ins Spiel kommen. Aber solche Bilder sind nicht dem Gehirnvorrat entnommen, sondern sie kommen eher aus der Magengegend, manifestieren sich gefühlszuständlich unbestimmt und werden von uns produziert, nicht reproduziert, der nonverbale Klang wirkt maieutisch. Dazu ein alter Text von Karl Linke über Arnold Schönberg (1912): "Alles, was unter dem Bewußtsein wie ein Traum lebt, kann in einer günstigen Stunde gehört werden und bewußt. Das ist schon Musik. Sie hat eine enorm fließende Kraft und baut nach keinem der Gesetze, die wir kennen. Sie hat einen Rhythmus, wie auch das Blut seinen Rhythmus stößt und wie alles im Leben in uns Rhythmus ist... Sie hat Harmonien, aber wir können sie nicht fassen und nicht analysieren und ihre Themen finden wir nicht..."

Warum gerade Kandinsky, Schönberg, 1912, Zeit des Expressionismus und des Hangs zum Gesamtkunstwerk? Die Utopien sind geplatzt, der Mensch (nach?) der Postmoderne treibt durch die Welt im Bewußtsein des Fragmentarischen seiner Weltsicht - was treibt den Künstler heute wohin? Ich habe den Eindruck, daß ManfreDu Schu in den Gräben und Bruchstellen zwischen den treibenden Fragmenten bohrt und seine Funde mit allen Mitteln der Kunst (musikalisch, sprachlich, zeichen/bildsprachlich) zur Darstellung bringt, ohne sie aber auf einen Haufen, den Haufen der erzwungenen Synthese, zu werfen.

Um aber allfällig lauernden Interpretationsölflecken auf der Kunststraße auszuweichen, seien hier noch einige Bruchstücke aus ManfreDu Schu's UBIUBI-Theorie hintangestellt, untertitelt mit "Die Form noch Kunst zu treiben oder die Überwindung der Einzelwissenschaft" (Katalog Galerie Theuretzbacher, Wien [1990], S. 7 ff):

"Alles Wirkliche ist das Loslösen von Gesetzen im andauernden Brüchemachen. Es ist was der Kunst hiffit, aber die Wissenschaft mißlingen läßt. Sie, die Wissenschaft, hat keinen Platz geschaffen für UNGEWISSES, sie schenkt uns die Gesetze und will andauernd um uns werben.

Um nun weiterarbeiten zu können, um die Kunst wie die Nässe der eigenen Haut zu spüren, muß man TEILE fordern und diese als BRUCH verwenden..."

"Einer der wichtigsten Punkte, der der Kunst zum Experimentieren verhilft, wenn nicht der Hauptpunkt, ist: das LÄRMENDE GROSSE RAUSCHEN. Es ist eine SPRACHE, eine Sprache an sich, die zwischen uns herrscht, und das einen Grund, den Grund der Kunst, in eine Form setzt, - sie denkbar macht! Dieses LÄRMENDE GROSSE RAUSCHEN entspringt dem Werk und ist Träger von Botschaften. - Botschaften die ihren URSPRUNG vergessen haben. Und so bleibt und verharrt es stehend, zu einem weiten RAUM werdend, in diesem Zustand des RAUSCHENS. Dieser Raum, zwischen Werk und Beobachter, füllt sich, die völlige Kohärenz verlierend, immer mehr auf und macht sich eigenständig; - damit die Gesetze als Bruch erscheinen können, die ein Werk bestimmen. Denn die Sprache, dieses seltsam gefiederte Ding, erfüllt sich erst zur Gänze durch ihre vollständige ABLÖSUNG vom WERK, von dessen KLANG."

"Es muß eine neue Sprache entwickelt werden, die sich nicht auf Begriffe hin klären erläßt, um die Fesseln dieser Begrifflichkeit zu lösen. Es wird eine Sprache sein, angereichert durch Informationen des LÄRMS, des SUMMENS sowie des PFEIFENS..."

"Dieses Über-hören verstärkt die Sicht auf Realitäten und bringt sie ausgewählt, in einer ÜBERSPRACHE, zum Vorschein, - macht den Beobachter unnütz. Die Kunst braucht keine Beobachter!"



1993 CALENDAR 1