KUNSTRADIO


I. "A Tourist in the Soundscape"

von Lisl Ponger

II. Sound Letter

von Claude Schreyer



I.

"A Tourist in the Soundscape"

und einen Ausschnitte aus:

"In 30 Tage um die Welt"

von Lisl Ponger


"Meine erste Radioarbeit A Tourist in the Soundscape ist, glaube ich, auch ein Film - es ist ein Hörfilm. Töne können viel unmittelbarer als Bilder Bilder herstellen und zwar Bilder im Kopf des Zuhörers, die viel intensiver sind als Filmbilder, weil es die eigenen sind." Die erste Radiokomposition der österreichischen Filmemacherin und Fotographin Lisl Ponger "A Tourist in the Soundscape" gehört zu Lisl Ponger's Zyklus oder Work in Progress Fremdes Wien. Eine Arbeit, die schon einmal in den öffentlichen Raum des Radios hineinreichte und zwar am Staatsfeiertag des Jahres 1991. Damals standen auf dem Programm der Sendung "Diagonal am Nationalfeiertag" "In 30 Tagen um die Welt - Fremdes Wien: Radiofotos von Lisl Ponger".

Bild 1: Der ägyptische Club. Wien innere Stadt:
"Ich läute. Die hohen schweren Türen werden geöffnet. Eine große Wohnung. Aber mein erster Eindruck ist ein ägyptisches Cafehaus. Ich war noch nie in Ägypten aber so stelle ich es mir vor nach den Romanen von Agib Narchfuß. Dicke Rauchschwaden hängen in der Luft. Im größten Raum wird eben eine lange Tafel gedeckt: Huhn, Gemüse, Reis und Salat. Leute kommen und gehen, blicken auf die Uhr. Das Essen beginnt um 19.32, nach Sonnenuntergang. Es ist ein Ramadanfrühstück. Später singt ein Scheich, ein würdevoller alter Mann, traditionell gekleidet mit roter und brauner Kopfbedeckung, deren Fraben und Form im Muster der Wiener Tapete fortsetzen. Für mich ist es ein Singen. Aber er rezitiert wird mir gesagt - Suren aus dem Koran."

In der Sendung Diagonal zum Staatsfeiertag 1991 wurde ein Ausschnitt aus Radiofotos von Lisl Ponger gesendet und zwar unter dem Titel In 30 Tagen um die Welt - Fremdes Wien:
"Ich habe eine Weltreise in Wien gemacht. Ich war bei mehr als 70 verschiedenen Ländern, Ethnien und Religionsgemeinschaften und ich mußte dafür nicht über Wien hinaus. Gereist bin ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln - hauptsächlich mit der Straßenbahn und mit der U-Bahn. An den Orten, wo ich eingeladen wurde - es waren alles öffentliche Veranstaltungen der sogenannten Fremden, die in Wien leben - wurden sowohl Film- als auch Tonaufnahmen gemacht. Die Orte bzw. Länder, die ich bereiste, reichen von Ägypten - also dem ägyptischen Club im 1. Bezirk in der Volksgartenstraße - über die Philipinen - einer Kirche am Tabor im 2. Bezirk wo ein Gottesdienst stattfand - nach Mexico - d.h. der Auftritt von Mariachis in ihren Originalkostümen in einem Lokal im 1. Bezirk - bis nach Tibet. Alle Reisen die ich unternommen habe, waren zu öffentlich zugänglichen Ereignissen, das heißt aber nicht, daß sie wirklich in der Öffentlichkeit bekannt sind, sondern daß sie sehr wohl im Verborgenen bleiben. Sehr viel von diesen Dingen spielen sich in 2. Stiegen von Wohnhäusern ab, in Kellerlokalen, manche auch in großen Sälen. Aber sie sind so gut wie unbemerkt von der Öffentlichkeit."

Die Fotos, die bei Lisl Ponger's Weltreise durch Wien entstanden sind, erschienen in der Zeitschrift Falter, wobei die Radiofotos von 1991 ein medienspezifisches, dokumentarisches Äquivalent zu diesen Zeitungsfotos waren. Für das ORF-Kunstradio ging Lisl Ponger einen großen Schritt weiter. Sie verwendete die Dokumentartonaufnahmen ihrer Reise als Material für eine Radiokomposition unter dem Titel A Tourist in the Soundscape:
"Der Titel ist auf deutsch "Ein Tourist in der Klanglandschaft". Ein Tourist ist sicher auch der Zuhörer, der sich in einer Klanglandschaft befindet, die Töne aus 23 verschiedenen Ländern beinhaltet. Aber ich selber bin auch ein Tourist und ich hoffe sehr, daß ich mich in dieser Klanglandschaft nicht verirrt habe."

Mit dieser Radioarbeit hat Lisl Ponger ein weiteres Medium für sich entdeckt:
"Ich würde gerne weitere Tonarbeiten machen. Der Bereich Film erscheint für mich im Moment geteilt.10 Jahre lang habe ich Stummfilme gemacht, und dann einen Film mit Ton. Allerdings habe ich dann zum Filmemachen aufgehört und es scheint, als müßte ich mich jetzt eingehend mit dem Ton beschäftigen."

Den Film - das Medium das sie solange erforscht hat - hat Lisl Ponger aber auch im Tonstudio nicht wirklich hinter sich gelassen:
"Der Zugang zu der Komposition ist ein ganz ähnlicher wie bei meinen Filmen. Ich habe bei meinen Filmen dokumentarisches Material aufgenommen. Es ist kein Fremdmaterial, sondern es wurde von mir selber aufgenommen und zwar mit einem durchaus dokumentarischen Zugang. Darüberhinaus ist ein wichtiges Element meiner Filme die Montage und zwar eine assoziative Montage. Ganz ähnlich bin ich bei meiner Tonreise vorgegangen. Ich habe die Tonaufnahmen von musikalischen Ereignissen, die ich auf meiner Reise gefunden habe, selber gemacht und daraus dann mittels Montage eine Musik komponiert."

Diese eine Musik hat klar gegliederte Teile:
"Der erste Teil ist symetrisch konstruiert, das heißt, um einen Mittelteil - das Mandolinenorchester - herum. Die Teile rechts und links von diesem Mandolinenorchesters entsprechen einander spiegelbildlich.
Beim zweite Teil, die Reise durch die Welt, erfolgte die Montage von ganz verschiedenartigen Tönen - die nicht mit der Intention aufgenommen wurden, sie nacher zu verbinden und daher natürlich auch ganz andere Klangräume beinhalten - dergestalt, daß Töne benachbarter Kulturen aufeinandermontiert wurden. Nicht nur ist es inhaltlich eine Reise von einem Land ins andere, sondern auch musikalisch war die Verbindung am ehesten so herzustellen, um keine ungewollten Brüche einzubauen. Das heißt, man geht von Mitteleuropa aus, gelangt dann irgendwann nach Tibet, auf die Philipinen und über das Meer nach Mexico und beendet die Reise schließlich in Togo.
Der dritte Teil beinhaltet Schichten von Tönen übereinander, die in einer ganz speziellen Art und Weise auf dem Stereobogen angeordnet wurden und zwar haben wir eine imaginäre Landkarte gezeichnet und die Länder, die in Frage kamen positioniert. Auch hier ist die Mitte immer Mitteleuropa oder die Umgebung von Österreich. Und je nachdem wo das Land sich befand - links außen oder rechts innen - wurde diese Stereopositionierung vorgenommen."

Die Radioarbeit A Tourist in the Soundscape soll als CD in das Buch Fremdes Wien des Klagenfurter Wieser-Verlages integriert werden:
"Am 19. 9. wird das Buch "Fremdes Wien" vorgestellt. Es beinhaltet Fotos meiner Reise, Gespräche mit den Leuten, die ich getroffen habe, kulturpolitische Essays zu den jeweiligen Ländern und 3 Essays von Elfriede Jeliniek, Herbert Wimmer und Ferdinand Schmatz. Dazu kommt noch die CD, die mit dem Buch zusammen präsentiert wird und zwar bei einem großen Fest in der Remise, bei dem wahrscheinlich etwas sehr ähnliches zu hören sein wird wie der dritte Teil meiner Komposition. Es werden nämlich 30-40 Gruppen simultan auf 5-7 Bühnen in der Remise auftreten."


II.

Sound Letter

von Claude Schreyer



Soundscape, Klanglandschaft, paysage sonor sind Begriffe die ein Feld der Auseinandersetzung bezeichnen, in dem sich zur Zeit sehr interessante Koalitionen zwischen ehemaligen Kontrahenten ergeben. Nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung, die Daten aller Art - Naturgeräusche und synthetische Klänge - zu gleichwertigen und auf gleicher Art manipulierbaren Material macht. Das Zusammenfinden jener, die früher ausschließlich auf synthetische oder ausschließlich auf Töne aus der Umwelt als Materila für ihre Arbeit eingeschworen waren, ist besonders deutlich in Kanada.
Die Integrationsfigur heißt Murray Schäfer. Und das einigende Konzept: Soundökologie - also Ökologie der Klänge, der Geräusche und des Lärms. Einer der produktivsten Schüler Murray Schäfer's ist Claude Schreyer, der gerade eine CD herausgebracht hat, auf der auch Auftragsarbeiten für Radio Kanada vertreten sind. Die CD heißt "Sound letter".



1993 Calendar 1