KUNSTRADIO


I. "O.T."


von Bernhard Kathan


II. "In den Läufern ist das Abenteuer"


von Ilse Kilic, Fritz Widhalm und Stefan Krist


Listen


I.
"O.T."

von Bernhard Kathan


Eine Radioarbeit im Rahmen voneinem vom BMUK, Land Tirol und dem ORF-Landesstudio Tirol unterstütztem Verein zur Forderung und Realisierung von künstlerischen Projekten im elektronischen Raum, insbesondere im Raum der Massenmedien Radio und Fernsehen.

Mit der Radioarbeit des Voralberger Künstlers Bernhard Kathan ist das Kunstradio nunmehr zum dritten Mal Schauplatz von TRANSIT - einem vom BMUK, Land Tirol und dem ORF-Landesstudio Tirol unterstütztem Verein zur Forderung und Realisierung von künstlerischen Projekten im elektronischen Raum, insbesondere im Raum der Massenmedien Radio und Fernsehen.

Der Radioarbeit "O.T." liegt eine Bergaktion Kathans zugrunde, die am 25. September dieses Jahres in 2000m Höhe an einem abgeschiedenen Bergsee in Tirol stattfand. Beiliegend der TRANSIT-Pressetext mit einem Beitrag von Kunsttheoretiker Lucas Gehrmann.

Projektkurzbeschreibung: In der Mitte eines einsamen Bergsees wurde ein weißes Zelt aufgestellt. Aus einem Lautsprecher waren unterschiedliche "Tonkonserven" zu hören. Dieses (Nicht-) Ereignis wurden aufgezeichnet, wobei Umweltgeräusche (z.B. Wind, Gewitter, Wanderer etc. ) die Tonbandgeräusche ergänzen, bzw. überlagern.

Bernhard Kathan arbeitet vorangig in und mit dem öffentlichen Raum. Er bevorzugt Orte oder Medien, die gewohnheitsmäßig nicht mit Kunst assoziiert werden. "Wahrnehmung ist ein'Luxus, den man lernen müßte", sagt Bernd Kathan - "um in einer Welt der vorgefertigten Meinungen zur eigenen Meinung finden zu können." Seine Arbeit für TRANSIT spielt an einem abgeschiedenen Tiroler Bergsee in genau 2000m Höhe.Ein weißes, menschenleeres Zelthaus wurde vor Sonnenaufgang in der Mitte des Sees aufgesteIllt. Zu jeder der vier Tageszeiten (genauer: um 7, ", 15 und 19 Uhr) wird eine jeweils aktuelle Beschreibung der Situation auf Band gesprochen, wobei sowohl gleichbleibende als auch sich verändernde Faktoren beschrieben werden. Zu denselben Zeitpunkten werden in die Stille dieses Raumes einzelne Geräuschkonserven gestrahlt die aus anderen öffentlichen oder bedingt öffentlichen Räumen stammen. Der Reihe nach sind dies: Lkm einer Maschinenfabrik, einer Großkantine, einer Bahnhofshalle, einer Schweineschlächterei. "Als Produkt bleibt schlußendlich ein Band, auf welchem jeweils eine fast indente Beschreibung mit einem jeweils völlig anderen Geräuschhintergrund zusammengeschnitten ist". Dieses Produkt, das sich aus transportierten (akustischen) Räumen zusammensetzt, soll schließlich über das Medium Radio weitertransportiert werden - "aber am Zielort angekommen hat sich das Transportierte verwandelt".(Bernhard Kathan).


PROJEKTGESCHICHT:

Das Projekt wurde am 16.März 1992 entworfen und an TRANSIT eingesendet.
Die Realisierung fand am 21.September am vorgesehenen Ort statt. Das dort entstandene Aufzeichnungsmaterial wurde vom Autor geschnitten und gelangte im Rahmen der Sendung "Kunstradio" Öl am 5.November 1992, 22:15, als Radiostück (Dauer: 6 Minuten) zur Aufführung (Redaktion und Einführung: Heidi Grundmann, Mitarbeit: Lucas Gehrmann).
PROJEKTBESCHREIBUNG:

Der Ort der Projektrealisation und -aufzeichnung ist ein abgelegener Bergsee in den Tiroler Bergen (Schönanger am Salfains bei Grinzens) in genau 2000 Metern Höhe. Ein auf vier Stangen ruhendes weißes Zeltdach wird (von Bernhard Kathan und einem Assistenten) vor Sonnenaufgang in der Mitte des seichten Gewässers aufgestellt.

Zu jeder der vier Tageszeiten (genau um 7:00, 11:00, 15:00 und 19:00 Uhr) spricht Bernhard Kathan von ein und demselben Betrachtungsstandpunkt aus eine jeweils aktuelle Beschreibung der sich dort bietenden Situation auf Band, wobei sowohl gleichbleibende als auch sich ändernde Situationen festgehalten werden (Originaltext s. unten sub Dokumentation).

Zu denselben Zeitpunkten werden in die Stille des Raumes jeweils verschiedene Geräuschkonserven ausgestrahlt, die aus anderen öffentlichen (bzw. bedingt öffentlichen) Räumen stammen. Der Reihe nach sind dies: der Lärm einer Maschinenfabrik, einer Großkantine, einer Bahnhofshalle und einer Schweineschlächterei.

Im Projektentwurf schreibt Bernhard Kathan:
"Während das (Nicht-)Ereignis konstant bleibt und auch in gleichbleibender Weise beschrieben werden soll, sollen jedoch kleinste Veränderungen wie beispielsweise ein zufällig vorbeikommender Wanderer oder ein plötzlich auftauchendes Gewitter in die Beschreibung einfließen. Als Produkt bleibt schlußendlich ein Band, auf welchem jeweils eine fast identische Beschreibung mit einem völlig anderen Geräuschhintergrund zusammengeschnitten ist."

Dokumentation:

Sendeprotokoll 5.11.1992, Öl Kunstradio

Sprecher (Bernhard Kathan):

" 11 o, 14 " 30 " östlich Greenwich, 47o, 12', 7" nördlicher Breite, 2000 Meter Seehöhe. 21.September 1992,

7 Uhr.

In einem kleinen Bergsee steht ein weißes Zelt, ein Tempelchen für die Götter, die Watte in den Ohren haben, die schlafen, für die Götter, die es nicht gibt.

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Aber es ist hell. In den Tälern liegt Dunst.

Man sagt, "der Pfeil fliegt durch die Luft, um sich mit Sonne zu füllen, aber am Zielort angekommen, hat sich das Transportierte verändert."

[Schnitt. 1 ' Lärm aus einer Fabrik. Lautstärke gleichbleibend.]

Sprecher:

"11o, 14',30" östlich Greenwich, 47o,12',7" nördlicher Breite, 2000 Meter Seehöhe. 21.September 1992,

11 Uhr.

In einem kleinen Bergsee steht ein weißes Zelt, ein Tempelchen für die Götter, die Watte in den Ohren haben, die schlafen, für die Götter, die es nicht gibt.

Die Sonne hat die Luft erwärmt.
Ein Bauer in einer blauen arbeitshose raucht eine Zigarette, zieht seine Hose aus und legt sich in die Sonne.

Man sagt, "der Pfeil fliegt durch die Luft, um sich mit Sonne zu füllen, aber am Zielort angekommen, hat sich das Transportierte verändert."

[Schnitt. 1 ' Lärm aus einer Großkantine. ]

Sprecher:

" 11o,14',30" östlich Greenwich, 47o,12', 7" nördlicher Breite, 2000 Meter Seehöhe. 21.September 1992,

15 Uhr.

In einem kleinen Bergsee steht ein weißes Zelt, ein Tempelchen für die Götter, die Watte in den Ohren haben, die schlafen, für die Götter, die es nicht gibt.

Manchmal ist freilich das Surren ihrer Federn in der Luft zu hören.
Vom Westen her ziehen Wolken auf.

Man sagt, "der Pfeil fliegt durch die Luft, um sich mit Sonne zu füllen, aber am Zielort angekommen, hat sich das Transportierte verändert."

[Schnitt. 1 ' Lärm aus einer Bahnhofshalle.]

Sprecher:

" 11o,14',30" östlich Greenwich, 47o,12', 7" nördlicher Breite, 2000 Meter Seehöhe. 21.September 1992,

19 Uhr.

In einem kleinen Bergsee steht ein weißes Zelt, ein Tempelchen für die Götter, die Watte in den Ohren haben, die schlafen, für die Götter, die es nicht gibt.

Die Sonne ist verschwunden. In der Kälte wird man sich des Windes bewußt. Aber in der Landschaft fehlt jede Bewegung.

Man sagt, der Pfeil fliegt durch die Luft, um sich mit Sonne zu füllen, aber am Zielort angekommen, hat sich das Transportierte verändert."

[Schnitt. 1 ' Lärm aus einer Schweineschlächterei.]

[Ende]


Anmerkung: Kursive Schrift kennzeichnet die sich ändernden Textleile.


Kommentar zu Bernhard Kathans "O.T.", 1992:

von Lucas Gehrmann

Das Projekt befaßt sich vorrangig mit den bei den Hauptthemen "öffentlicher Raum" und "Transport bzw. Transformation von Informationen".

Bernhard Kathan liefert im Projektentwurf sowie in einem Text, der die Eindrücke vom 21.9.1992 reflektiert, dazu selbst einige Interpretationen bzw. Hinweise. Auf sie sei im folgenden zurückgegriffen.

Im Projektentwurf heißt es:

"Die einfachste Definition des öffentlichen Raumes bezeichnet diesen als jenen Ort, an dem man das Zusammentreffen mit fremden Personen nicht verhindern kann. Diese Definition ist sowohl für Fernsehen und Radio unbrauchbar, sie trifft aber auch nur sehr bedingt auf einen Bergsee zu, der wegen der Mühe des Anstieges oder auch wegen seiner Bedeutungslosigkeit (nicht in Karten eingezeichnet) nicht frequentiert wird."

Während eine Bahnhofshalle nach obiger Definition ganz klar als öffentlicher Raum gesehen werden kann, ist eine Schweineschlächterei nur sehr schwer als solcher zu sehen, sind doch eine Unzahl von Tierkadavern bestenfalls mit einem gut eingespielten Ensemble, welches noch aus verhältnismäßig wenigen Personen zusammengesetzt ist, konfrontiert.

Ich denke, die Metaphorik des öffentlichen Raumes wie auch der Medien wird sich irgendwo beim Transport ansiedeln müssen. Da wir aber wissen, daß sich die Dinge - und dazu zählen auch Informationen - während des Transportes verändern und spätestens beim Rezipienten eine neue Qualität aufweisen, müßte man eher von Transformationen sprechen.

Alle vier Geräusche sind dementsprechend vier verschiedenen Orten der Transformation zugeordnet, und nicht der Bewegung. Einwand: Der Konsument des Produktes könne diese Überlegungen nicht mehr nachvollziehen. Das stimmt, aber das ist ja auch nicht notwendig, handelt es sich doch nicht um eine didaktische Veranstalturtg. Weiterer Einwand: Um die oben erwähnte Transformation direkt umzusetzen, wäre es notwendig, das Sichtbare zeitgleich zu den vier Tageszeiten an einen bestimmten öffentlichen Ort zu übertragen. Zum einen erscheint mir dies schon oft genug durchgespielt, aber auch zu aufwendig, zum andern wird die Transformation deutlicher, wenn sie gerade nicht zeitgleich erlebt wird." Zum Thema Transformation von Informationen bzw. der Bedeutung von Dingen hat sich Bernhard Kathan auch schon an anderer Stelle geäußert.

In seinem Aufsatz "Jetzt tauchen Transportprobleme auf" (in: Semiotische Berichte 3/1990, S 199-206) nimmt er den Gegenstand "Pfeil" als Beispiel für die Verschiebung von Bedeutungsebenen durch dessen Translokation von der Hand seines ursprünglichen Benützers in diejenige eines Völkerkundlers: "Wenn Ethnologen Dinge abtransportieren, dann denken sie an einen äußeren Bedeutungszusammenhang ... Wenn wir an einen Pfeil denken, so handelt es sich einmal um ein Gerät, um damit zu überleben, es dient dem Nahrungserwerb und der eigenen Verteidigung, in einem ethnographischen Zusammenhang wird es zu einem Belegstück, zu einem Dokument... Jetzt sage ich einmal, die oben erwähnten Transportprobleme gründen auch in jenen Verständigungsschwierigkeiten, die sich aus dem Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Logiken ergeben ... " (S 200, op.cit.)

Diese unterschiedlichen Logiken gründen sich offenbar in unterschiedlichen Sichtweisen, die die Dinge in verschiedene Bedeutungsebenen einbetten. Sichtweise könnte in diesem Sinne auch wörtlich genommen werden, als ein vom Standort der jeweiligen Bezugsperson abhängiger Faktor. Im Rahmen. des Projektes wird dies nicht nur durch die unterschiedliche Provenienz der verwendeten bzw. erzeugten Geräusch- und Textinformationen deutlich, es manifestiert sich auch in den einzelnen Gegebenheiten des Projektortes (Berg, See, Zelthaus, Luft etc.), die bei direkter Wahrnehmung andere Qualitäten aufweisen als am Ort ihrer indirekten Rezeption. Bemhard Kathan schildert dies anhand der Eindrücke, die er am Projektort gesammelt hatte:

"Irritation des Wassers: In der Vorstellung von einem kleinen Bergsee denkt man an klares, reines Wasser. Gerade der Zusammenhang zwischen Wasser und metaphysischen Vorstellungen lebt von der Reinheit, von der Reinigung letztlich. Als ich dann allerdings beim Aufstellen des Tempelchens in diesen Tümpel hineinwatete, wurde nicht nur eine trübe Brühe aufgewirbelt, vielmehr verbreitete sich über der Wasseroberfläche ein beißender, fauliger Gestank, der dem in Kläranlagen gewohnten Gestank in keiner Weise nachsteht. Diesen Gestank kann man heute nur noch über ökologisches Wissen deuten, über fehlende Zuflüsse, fehlenden Wasseraustausch, über einen heißen Sommer, der die Wassermenge auf weniger als die Hälfte reduzierte, über Sauerstoffverbrauch etc.. Metaphysische Deutungen sind ausgeschlossen. Eigenartigerweise nimmt die Bereitschaft dazu mit der Entfernung zu, also wenn man sich auf einen Hügel setzt und hinunterschaut oder wenn man sich in der Stadt herunten diesen Ort vorstellt.
Kürzlich habe ich bei Petronius gelesen, wie einer jammert, früher seien die Frauen noch bedeckten Hauptes und barfuß zum Kapitol gewandert, aber wer habe denn heute noch einen Glauben und die Götter hätten Watte in den Ohren und die Felder ...
Die Vorstellung, die Götter hätten Watte in den Ohren wie auch die Vorstellung, ein Tempelchen für Götter aufzustellen, die es gar nicht gibt, hat mir den ganzen Tag über gefallen. Nur einmal hat mich mein Bedürfnis nach einem konkreten symbolischen Austausch gestört. Ich hätte in der Mitte des Sees ein kleines Gerüst aufstellen können, auf welchem sich rohe Fleischbrocken stapeln ließen. Fütterung der göttlichen Raben und Dohlen, die über dem See ihre Kreise ziehen, sich durch Aufwinde herauftragen lassen und gern an dieser Stelle die Seiten wechseln. Natürlich haben die Krähen und Dohlen ein Auge auf die Rucksäcke und möglichen Abfälle, die zurückbleiben, aber die Vorstellungen der Tibetaner mit ihrer Himmelsbestattung sind uns fremd. Bei uns stünde die Fütterung mit rohem Fleisch in der Nähe zum Vogelhäuschen.
Es gibt über der Inzinger Alm ( am Mundstalsee) ein auf den ersten Blick ähnliches Projekt. Seit einigen Jahren bauen einige an diesem See an einem Apollotempel. Mir gefällt zwar die Idee, über Jahre hinweg ohne technische Hilfsmittel ein Gebäude aufzustellen, also Steine, die in der Landschaft herumliegen, als Gebäude zu ordnen und dieses Spiel gegen den (kostspieligen) Widerstand der Bundesforste weiterzutreiben, aber letztlich ist es eine Vogelhäuschengeschichte, weil der symbolische Austausch nicht mehr funktionieren kann, der früher - wie man weiß - auch dann funktionierte, wenn es die Götter gar nicht gab.
Interessant ist einzig das Loch, das Bedürfnis nach einer bestimmten Ordnung, und diesbezüglich braucht man nur ganz einfache Codes."



1992 Calendar 2