KUNSTRADIO


"BACCHACAGLIA"


Listen


Radiostück zur Live-Übertragung aus zwei Studios
von
Günther Zechberger

Bacchacaglia für:

Sopran, Altsaxophon in Es, Posaune
Violine, Altsaxophon in Es, Posaune
Rundfunktechnik und Computer


    Uraufführung als Live-Konzert
  • in den ORF Landesstudios Innsbruck und Dornbirn,
    15. Oktober 1992, 21:30 Uhr
  • Live-Übertragung in den Sendungen
    "Ton für Ton" & "Allegro", Ö2, 15.Okt., ab 21:30 Uhr
  • und als Radioproduktion aus den Mitschnitten ,
    Kunstradio, 01, Donnerstag den 29. Okt., 22:15 Uhr
Eine Radioarbeit im Rahmen voneinem vom BMUK, Land Tirol und dem ORF-Landesstudio Tirol unterstütztem Verein zur Forderung und Realisierung von künstlerischen Projekten im elektronischen Raum, insbesondere im Raum der Massenmedien Radio und Fernsehen.
Die Idee, die der Komposition "Bacchacaglia" von Günther Zechberger zugrunde liegt, ist die Überwindung des (Ein-)Raumes, beziehungsweise die Frage: In welchen Räumen spielt sich Musik ab - im Menschen selbst, in dem Raum in dem er sich befindet (wo also die Musik erklingt), oder fernab dem für uns physisch Wahrnehmbaren?

Den Ausgangspunkt der Komposition "Bacchacaglia" bilden zwei Ensembles in nahezu identer Besetzung an zwei verschiedenen Orten (ORF-Studios Innsbruck und Dornbirn). Beide Musiker-Gruppen sind während der Aufführung mittels Bild- und Tonleitung miteinander verbunden. Weiters existiert in einem der beiden Studios (Innsbruck) ein Computer, der sich durch das Abspielen seiner programmierten Komposition, gleichsam als dritter nur auditiv wahmehmbarer Klang zu den beiden Ensembles schaltet. Hier kommt die Illusion eines dritten Raumes hinzu.

Durch die Angleichung von synthetischen Klängen an die natürliche Klangfarbe der Instrumente, sollen die Grenzen zwischen Instrumentalklang und Computerklang für den Hörer verwischt werden. Der Ursprung der einzelnen Klangabläufe ist dadurch nicht mehr feststellbar.

Für das Publikum in den beiden Studios, das via Bildschirmund Tonübertragung, das Ensemble des jeweils anderen Studios sehen und hören kann, entstehen die Fragen: "Was ist Wirklichkeit?" und "Was ist Illusion?"

Dies gilt noch stärker für den Radiohörer. Auch für ihn verschleiert sich das Raumempfinden. Er besitzt jedoch die Möglichkeit sein eigenes Konzert zu gestalten, indem er mittels des Reglers das eine Ensemble auf dem linken Kanal, oder das andere auf dem rechten Kanal abschalten oder leiser stellen kann, sodaß er nur ein Ensemble, bzw. das eine lauter und das andere leiser wahrnimmt. Auch kann er die Musik auf zwei verschiedenen Radioapparaten aufnehmen, um dann später eine eigene Klangmixtur aus dem Zusammenschnitt der Bänder zu produzieren. Weiters kann der Hörer die Radiogeräte auf zwei verschiedene Räume verteilen um so neue Klangaspekte, durch die räumliche Trennung in der Wohnung zu erzielen.

All das wirft zwingend die Frage auf, was eigentlich Musik ist. Ist es die Musik des Ensembles 1, des Ensembles 11, die des Computers, oder die des Zusammenwirkens aller drei Komponenten im Live-Konzert, bzw. in einer etwaigen Klangmixtur, die sich ein Radiohörer zusammenbastelt?

Wo spielt sich die eigentliche Musik ab? Im Studio 1, Studio 11, im Computer, im Radio, oder schlicht in der vierten Dimension der Radiowellen während der Übertragung im Rundfunk und zwischen den beiden Studios? Könnte es sein, daß die eigentliche Musik für uns unhörbar im Äther der Übertragung erklingt?

Zechberger richtet diese Frage zunächst an sich selbst, im weiteren jedoch auch an das Publikum. Da Musik heute kaum noch wahrgenommen, geschweige denn bewußt gehört wird, fordert Zechberger uns mit diesem Hörstück auf, uns zu fragen, was das eigentlich ist, was da klingt, woher es kommt, wie es für einen selbst wahrnehmbar werden kann, was es für eine Wirkung hat.

Auf alle diese Fragen eine Antwort zu finden, hieße die Quadratur des Kreises zu lösen. Günther Zechberger geht es hier vor allem darum, Anregungen, Denkanstöße und Impulse zu einem anderen, neuen Hören zu geben.

In diesem Sinne ist auch die Bezugnahme auf J. S. Bach im Titel der Komposition zu verstehen. Wie eine Art Leitmotiv sind Passagen aus der 12. Fuge der "Kunst der Fuge" von Bach "permanent in der ganzen Komposition vorhanden - insbesondere im Computerpart (in verschiedenen Versionen, nur unterbrochen durch eine Zwölftonreihe auf dem Motiv b-a-c-h, die anschließend mikrotonal modifiziert wurde). Diese dem Computer gefütterten Fugenversionen werden auf dem Wege der Improvisation (!) = Ändern der "Instrumentation", der Rhythmik, des Tempos, der Dynamik, der Stimmkoordination, Fragmentieren, Zerstückeln ..., in das musikalische Geschehen eingefügt". (Günther Zechberger) Das eigentliche Thema der Fuge wird jedoch nie zitiert, imitiert oder reproduziert- Vielmehr lebt es als fixe Grundidee in der Komposition (= Bezugnahme auf Passacaglia im Titel). Manchmal erscheint sie etwas schärfer, manchmal in Umrissen skizziert. Teilaspekte aus den einzelnen Stimmen der Fuge, die in der "Bacchacaglia" als kleine splitterhafte Passagen auftauchen bilden das Tonmaterial der Komposition.

Der Gedanke, daß Musik von Johann Sebastian Bach perrnanent im Äther vorhanden ist, brachte den Komponisten auf die Idee, doll anhand der Bacchacaglia ein Treffen zu arrangieren: Musiksignalen von J.S. Bach auf der einen Seite stehen "verwandte" Musiksignale Günther Zechbergers gegenüber.

Auch hier steht wieder die Frage im Raum, was denn Bach nun eigentlich für uns heute ist. Wie wird er gehört, wie wird er empfunden, hat er eine Bedeutung für uns heute oder nicht? Die Antwort bleibt wiederum dem Hörer überlassen bzw. soll sie den Einzelnen dazu anregen sich neu und auf andere Weise mit dem Phänomen Bach auseinanderzusetzen.

Kompositorisch gestaltet sich das Werk in offener Form. Eine Ausnahme bildet lediglich die vorgefertigte Computerkomposition. Für die Musiker existiert ein vorbereiteter Notentext, der ihnen die höchstmögliche Freiheit in der Ausgestaltung der Musik zubilligt . Diese freie Ausgestaltungsmöglichkeit der einzelnen Klangabläufe, -Kombinationen und -Reihenfolgen findet ihre größte Entfaltung in den einkomponierten aleatorischen Momenten der Komposition, die im Notentext durch graphische Notation festgelegt sind. Die Musiker werden dadurch nicht zu bloßen Reproduzenten, sondem zu aktiven Mitgestaltern des Werkes.

Eine Wiederholung der Aufführung "Bacchacaglia" in identer Form ist daher nicht möglich. Die Musik lebt von der Vitalität der Musiker. Deswegen auch die Beziehung zu Baechus im Titel des Stückes. Musikalisch ist die Komposition von den verschiedenen Möglichkeiten der Ton- und Klanggestaltung bestimmt. Zechberger baut ruhige, lang ausgehaltene Klänge ein, entwickelt neue Tonintensitäten durch Glissandostrukturen und nützt die klanggestalterischen Möglichkeiten der einzelnen Instrumente ganz aus, um einen dynamischen Klangablauf zu erreichen. Dabei werden die Mikrointervalle, die der Musik eine eigenwillige Intensität verleihen, miteinbezogen. Ein weiteres wichtiges Moment bilden die Studiotechniker, für die sich ebenfalls Anweisungen in der Partitur einkomponiert finden. Diese werden somit ebenfalls zu Mitgestaltern. Im gesamten gestaltet sich das Werk spannungsgeladen, schwankend zwischen ruhiger Meditation und ekstatischer Explosion. Aber im eigentlichen Sinne ist es eine Musik des Fragens. In der "Bacchacaglia" wird über die Klangkomposition und die Raumkonzepte hinaus an die Hörer, aber auch an die Musiker die Frage gestellt : "Was ist Musik?". Will man sie beantworten, stößt man immer wieder auf neue Fragen, neue Antworten, die wiederum neue Fragen aufwerfen. Für Günther Zechberger selbst ist diese Fragestellung zur Triebfeder seines Komponierens geworden. So fasziniert die "Bacchacaglia" nicht nur als spannungsgela denes Klangstück, sondern fordert jeden einzelnen auf, sich auf die Fragen, die das Stück aufwirft einzulassen, um so vielleicht zu einem neuen, hinter fragten Hörbewußtsein zu gelangen. In diesem Sinne kann die Komposition von Zechberger auch als eine Art musikalisches Philosophieren verstanden werden.

Wolfgang Schäffer


WIEDERHOLBARES - NICHTWIEDERHOLDARES
Gedanken zur Live Übertragung am 15.Okt.1992 und zur späteren Sendung vom 29. Okt. 1992


Bei der Liveübertragung der "Bacchacaglia" handelt es sich um ein einmaliges, unwiederbringliches musikalisches Ereignis. Das Stück ist bei Live-Aufführungen - und dies ist ein wichtiger Aspekt der kompositorischen Idee permanenten, real meßbaren Wandlungen unterworfen.

Das Werk lebt von der Qualität des "Hier und Jetzt, der Sensibilität und Spontaneität der Musiker und deren funktionierenden Verständigung untereinander.

Der Hörer ist in besonderem Maße aktiv in das Geschehen eingebunden Panoramaregelung, Dynamikregelung ete.. Räume werden als etwas Begreifbares, Meßbares erfahren.

Die Radioproduktion ist das Dokumentieren einer einzigen Version der "Bacchacaglia" von Günther Zechberger. Sie ist beliebig oft wiederholbar, der Anspruch auf Einmaligkeit geht somit verloren.

Die oben genannten Qualitäten der Musiker sind nun Vorbedingung, das "Hier und Jetzt" ist unbedeutend, denn das Qualitätsaugenmerk richtet sich auf die Aufnahme- und die Sendetechnik.

Der Hörer ist nun nicht mehr aktiv in das Geschehen miteingebunden, sondern wird jetzt mit dem Werk konfrontiert und alleingelassen.

Dennoch ist auch in diesem Falle die Komposition permanenten Wandlungen ausgesetzt - nun aber nicht mehr objektiv meßbar ! Denn die Veränderungen finden jetzt - abhängig von der jeweiligen Konstellation und der momentanen psychischen Struktur und Wahrnehmungsfähigkeit des Rezipierenden - im Hörer selbst statt.

So bleibt also auch die Rundfunkproduktion - deren Sinn ja die Wiederholbarkeit ist - ein einmaliges Ereignis, wenn man sie in den Raum "Bewußtsein - Unterbewußtsein - Wahrnehmung" des Hörers verlegt.

Wolfgang Schäffer



1993 CALENDAR 1