KUNSTRADIO 24. September 1992

KUNSTRADIO


"PIAZZETTA VIENNA"

einen Beitrag im Rahmen des DOCUMENTA IX Projekts
"PIAZZA VIRTUALE" von Van Gogh TV



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PYRAMEDIA, die freie Videogruppe im WUK wurde eingeladen, einen Beitrag im Rahmen des internationalen Projekts PIAZZA VIRTUALE von VAN GOGH TV plus Teilnehmern (Ferseh-Live-Programm auf 3-SAT) zu gestalten. PIAZZA VIRTUALE ist Teil der Documenta IX und noch bis 20. September zu sehen und zu hören. Entstanden ist die Piazzetta Vienna durch eine Kooperation von Pyramedia und ZEROnet in Zusammenarbeit mit Dead Dog Gallery, Kunsthalle Exnergasse und dem ORF-Kunstradio.

Die Piazza ist bekanntlich ein Ort der Begegnung, des Austausches von Meinungen, Erfahrungen oder ganz einfach des Gesellschaftsklatsches in einem Dorf. Die PIAZZA kann auch im elektronischen Raum stattfinden: das Projekt PIAZZETTA VIENNA kann als "Experimentierfeld" für allgemein zugängliche Interaktions-und Kommunikationsprozesse mittels elektronischer Medien verstanden werden. Für PIAZZETTA VIENNA wurden zwei Räumlichkeiten als Studios adaptiert: Beide Studios (zuerst in der KUNSTHALLE EXNERGASSE, dann im FREIHAUS) wurden mit Bildtelefon, Telefonen, Fax, Computer plus Modem, MIDI-Equipment, Monitoren und Videoprojektoren ausgestattet. Sie stehen den Künstlern und interessierten Mitwirkenden als Ort der Kommunikation zur Verfügung: die Studios werden zur "piazza" - zur PIAZZETTA VIENNA, "ein dialogisches Kunstwerk", das - so die Organisatoren - keinen Autor braucht. Das Studio in der Kunsthalle Exnergasse fungiert, ebenso wie die öffentliche LOG IN Station im Freihaus als Online-Expermentierfeld, Diskussionsort und Treffpunkt. Der Rezipient wird zum User.



PIAZZETTA VIENNA ist mit Graz vernetzt: von dort aus wird ZEROnet, eine neue Kunst Mail-Box, ihre interaktive On-line Oper "The Big Net Jam" zuschalten. Außerdem ist PIAZZETTA VIENNA natürlich auch mit PIAZZA VIRTUALE, d.h. mit dem gesamten 3-SAT-Sendebereich verbunden.

Über Telefonleitungen werden die Live-Sendungen der Piazzetta Vienna zur Dokumenta nach Kassel in das computergesteuerte Studio des Van Gough TV's übertragen und von dort über 3SAT ausgestrahlt. Was die Piazzetta Vienna von den übrigen Piazzettas in aller Welt unterscheidet, ist die Ansteuerung von Klangerzeugern mittels Midi-Daten. "Midi ist ein Übertragungssystem, eine Sprache auf die sich führende Musikinstrumentehesteller ursprünglich geeinigt hatten, um verschiedene Synthiseizer so miteinander zu verbinden, sodaß es möglich sein sollte auf einem Gerät zu spielen und gleichzeitig die Klänge eines zweiten Grätes anzusteuern. Der damals vereinbarte Standard hat sich als sehr sinnvoll erwiesen, sodaß heutzutage sehr umfangreiche Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und eigentlich durch Midi eine regelrechte Revolution im Musikbereich ausgelöst wurde." Auch im Rahmen der Aktivitäten bei Van Gough TV war anläßlich der Dokumenta IX eine Midi Übertragung, also eine Übertragung von Daten nach Kassel vorgesehen und hat auch statt gefunden.

In Kassel wurden entsprechende Klangerzeuger aufgestellt und von Wien und Graz aus angesteuert. Über Telefon wurden nur die Daten übermittelt und erst im Studio in Kassel wurde daraus wieder konkreter Klang. Dies hatte zur Folge, daß die Begrenzung der Telefonleitung - 4 Kiloherz etwa- umgangen wurde und so eine hervorragende Qualität des Klanges erreicht werden konnte.

Live und in Echtzeit wurden während der Sendungen von Wien und Graz alle dortigen und die in Kassel angeschlossenen Klangerzeuger angesteuert. Die Umwandlung der Midi-Daten in konkreten, hörbaren Klang durch die Klangerzeuger fand gleichzeitig an 3 Orten statt. Bei den in Kassel zu hörenden Klängen handelte es sich im wesentlichen um eigenes Material also um selbst entworfene Klänge. Das Ansteuerern dieser Klänge war allerdings nicht die einzige Aktivität, sondern es ging auch darum, die Stimmen der Anrufer über entsprechende Geräte -vor allem Pitchtransposer -, die auch in Echtzeit über Midi Befehle erhielten, zu manipulieren. "Der ursprüngliche Anstatz von Van Gough, vor allem Kommunikation zu ermöglichen, ist einerseits durch die Midi-Kommunikation erweitert worden. Im konkreten Ergebnis für die Anrufer hat es aber eigentlich eine Störung der Kommunikation zur Folge."


Radiofassung:

Das Tonmaterial aus der ersten "Piazzetta" (25.Juli) wurde für das ORF-Kunstradio im Pyramedia Audio Department von Ulf Langheinrich zu einer eigenständigen Komposition verarbeitet.

Ulf Langheinrich über interaktive Kommunikation:
"Ich glaube, daß interaktive Situationen, interaktives Fernsehen, interaktive Modelle in der Kunst im Moment sehr im Entstehen sind. Aber teilweise läßt sich noch eine gewisse Ratlosigkeit vor allem der Rezipienten aber auch der Künstler und Techniker die damit arbeiten feststellen. Es war mir wichtig das zu thematisieren. Durch die neue Technik bzw. interaktive Situationen noch nicht selbstverständlich sind, solange noch das Erstaunen daüber, daß es überhaupt funktioniert dominiert, wird eine Phase des Einarbeitens in dieses Gebiet erforderlich sein. Das ist im Moment sehr auffällig, daß dieses Erstaunen so stark Platz greift in den Gefühlen, in den Gedanken der Leute die partizipieren und das es jenseits davon aber oft nur sehr inhaltslee ist. Aber das ist eigentlich keine Kritik sondern hängt damit zusammen, daß man da Neuland betritt und zunächst einfach bevor man aufs Eis geht sich davon überzeut, daß es hält bevor man anfängt Pirouetten zu drehen. Insofern kann am auch sagen, daß es sich einordnet in ein Gesamtkonzept unserer Gruppe, welches man vielleicht so beschreiben könnte, daß wir versuchen das Interagieren und die Kommunikation zu übersteigern. Es in möglichst grellen Farben zu zeichnen und durch die Übersteigerung kippt es dann eigentlich in eine Nicht-Kommunikation, d.h. es wird auch ein Stück weit nachgewiesen wie schwer Kommunikation ist.

Ulf Langheinrich über seine Komposition für das ORF-Kunstradio, der Piazzetta Vienna:
"Tiefergehende Kommunikation ist bei der Sendung relativ schwierig und zwar deshalb, weil die Leute so begeistert sind davon tatsächllich jetzt auf Sendung zu sein, und gleichzeitig so erschocken und überrascht, daß die Meldung sich oft in Hallo erschöpft, in Vorstellungen und dann ist oft der jeweilige Anschluß vorbei oder wird gesperrt und jemand anders kommt rein sodaß sehr häufig immerwiederkehrende Meldungen vorkommen. Ich haben im wesentlichen eigentlich 3 Hallo-Logos aufgenommen - alos verzichtet darauf alle Hallos die da aufgetaucht sind einzel herauszustellen zu wiederholen weil die 3 sozusagen für das ganze stehen. Durch die lange Wiederholung passiert auch folgendes, daß der Inhalt dieser Meldung ein wenig unwichtig wird. Man achtet also zunächst auf die Mitteilung und allmählich verwandelt sich das in immer stärkerem Maße in Klang. Also wenn man dann zum 150. Mal den selben Satz hört, ist die Mitteilung immer unwichtig und wird immer stärker zum Geräusch vor allem in diesem akustischen environment. Und das ist dann wiederum allerdings bezugnehmend auf den ursprünglichen Ansatz während der Sendung der ja war, alles als akustische Situation aufzufassen, also nicht so sehr versuchen die Kommunikation der Anrufer zu unterstützen, sondern die Kommunikation der Anrufer aufzufassen als akustisches Ereigniss jenseits dessen was sie sich mitzuteilen haben oder mitteilen wollen und weiterzuverarbeiten. Und diese Sinnentleerung findet durch diese nachdrückliche retuntante Wiederholung einzelner Samples dann auch statt."



1992 CALENDAR 2