KUNSTRADIO


CHIP RADIO


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Chip Radio
Eine Radioarbeit im Rahmen voneinem vom BMUK, Land Tirol und dem ORF-Landesstudio Tirol unterstütztem Verein zur Forderung und Realisierung von künstlerischen Projekten im elektronischen Raum, insbesondere im Raum der Massenmedien Radio und Fernsehen.

von
Andres Bosshard & Horst Hörtner in Dornbirn
Mia Zabelka & Seppo Gründler in Salzburg
Gerfried Stocker & Waldemar Rogojsza in Innsbruck
Mit "Chip Radio" knüpft die KünstlerInnen an ein Schwerpunktthema von "Transit" an: die Macht elektronischer Medien und ihrer Rolle als Schöpfer und Veränderer von Wirklichkeit. "Transit", ein mediales Workshopereignis, das im Oktober und November präsentiert werden wird, gilt aber auch als Bestandaufnahme: Gebrauch, Funktion und Einsatz elektronischer Medien werden u.a. auch in "Chip Radio" thematisiert. Mögliche zukünftige Entwicklungen und Perspektiven werden in Form von Performances spielerisch vorweggenommen. Die Medienszene und ihre Strukturen und Technologien verändert sich rasant, vieles ist machbar, was gestern noch als Utopie galt. Vieles wird zu realisieren sein, was heute als unmöglich erscheint.

In "Chip Radio" sind die PerformerInnen - Mia Zabelka/Seppo Gründler in Salzburg, Gerfried Stocker/Waldemar Rogojsza in Innsbruck und Andres Bosshard/Horst Hörtner, in Dornbirn - via Computer (Videoleitungen) miteinander verbunden. Bei ihren sehr unterschiedlichen Live-Performances "stören" sie sich gegenseitig vor Publikum.

Die Live-Performances werden in Ö Regional simultan übertragen. Zeitlich versetzt sind sie in der heutigen ORF-Kunstradio-Sendung auf Öl zu hören.


CHIP RADIO
von Romana Froeis

Animiert durch die zeitgenössischen Automatenvorstellungen, antizipierte der französische Zeichner J.I.I.G.Grandville 1843, zumindest in der Karikatur, ein Dampforchester. Diese musizierenden Automaten werden hier zu einer illustrierten Persiflage über die im 19. Jhd. in der Industrie und im Maschinenbau am häufigsten benutzte Antriebskraft des Dampfes.

Ende des 20. Jhds. ist die Dampfkraft als Energiequelle "historisch" geworden, an deren Stelle ist die elektronische Technologie getreten. Ein selbständiges, musizierendes Orchester, wie es im 19. Jhd. illustriert wurde, kann heute mit Unterstützung der elektronischen Technologie zur gelangen. Der Mensch agiert als Dirigent der elektronischen Musikinstrumente. Die Musikmaschinen können sogar geographisch getrennt vom Dirigenten oder Musiker sein, wie es die Performance Chip-Radio beispielhaft demonstrierte.

Der Weg bis dahin unterlag zahlreichen Versuchen. Einer der ersten akzeptablen Roboter, wurde 1927 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. "Televox" war der erste wirkliche Roboter und war in erster Linie als Haushaltshilfe gedacht. Der Konstrukteur war der amerikanische Ingenieur Wensley. Der Apparat war mit einem tonempfindlichen Relais ausgestattet, das verschiedene Haushaltsgeräte einschaltete. Die Kommandos wurden durch eine dreitönige Pfeife über Telefon eingegeben. Erstmals war jetzt die Möglichkeit gegeben, den Roboter aus der Ferne über das Telefon zu steuern.

Dieser Aspekt der Fernsteuerung wird gerade bei der Performance "Chip-Radio" zu einem wesentlichen Bestandteil. Ein speziell für diese Performance aufgebautes Network Design konstruierte jenen elektronischen Raum, in dem sich die Akteure mit den von ihnen räumlich getrennten Instrumenten "treffen", bzw. interaktiv agieren konnten. Für den Rezipienten wird diese Interaktivität visuell und/oder akustisch zum Ausdruck gebracht. Der elektronische Raum impliziert einen Knotenpunkt, wo sich Mensch und Maschine zu einer Interaktion vereinigen können. Folglich erweist sich die räumliche Distanz zwischen Mensch und Maschine als irrelevant. Die immateriellery elektronischen Datenräume ersetzen die reale räumliche Ferne. Diese verschwindet und kehrt erst wieder in unser räumliches Bewußtsein zurück, wenn wir uns aus den immateriellen elektronischen Räumen zurückziehen. Genau in diesem Moment erfahren wir jenes ambivalente Verhältnis von Ferne und Nähe, das den elektronischen Medien innewohnt. Das blitzartige Näherbringen der Ferne passiert mit gleicher Geschwindigkeit, wie das Zurückbringen derselben.

Beim telematischen Simultan-Konzert "Chip-Radio" wurden die - an sich nicht nachvollziehbaren - Vorgänge im elektronischen Raum physisch und psychisch wahrnehmbar gemacht. Die Aufführungen fanden an drei geographisch verschiedenen Orten, den architektonisch identischen Landesstudios Dornbirn, Innsbruck und Salzburg statt. Ein vierter Raum entstand durch die Live-Übertragung im Radio (01 Kunstradio-Radiokunst). Das Massenmedium Radio eröffnet die Möglichkeit akustische und geographisch Raumdistanzen zu überwinden. Normalerweise ist das Radio eine EinwegTonverhindung Non einem Ausgangsort zu vielen anderen Orten.

Bei der Performance "Chip-Radio" waren die ausgewählten, geographisch getrennten Orte alle zugleich Aufführungsorte, die mit interkommunikativen Datennetzen verbunden waren. Die von den Künstlern fabrizierte interaktive Raumakustik wurde live gemischt und (live) gesendet. Für den Radiohörer/Empfänger wurde ein akustischer Hör-Raum synchron von allen drei Aufführungsorten ins Wohnzimmer projiziert. Die elektronischen Medien heben die räumliche Distanz auf. Die Annullierung der Ferne, so fordert es Peter Weibel, muß für die Technokultur ein Axiom sein. "Nicht wir fficken der Ferne näher, sondern die Ferne uns, die Telemaschinen bringen uns die Ferne nahe heran. Das Entlegene rückt auf uns zu".

Bei "Chip-Radio" kommunizierten gemeinsam vier Musikerlnnen (Andres Bosshard, Seppo Gründler, Gerfried Stocker, Mia Zabelka), sowie ein Sprecher (Waldemar Rogojsza) über und mit technischen Geräten. Das Network Design erarbeitete der Techniker Horst Hörtner. In Salzburg spielte Mia Zabelka akustische Geige und gleichzeitig steuerte sie über Körperinterfaces (an beiden Armen montiert) eine elektronische Robotergeige in Innsbruck. Diese spezielle Robotergeige, konstruiert von Martin Riches, ist mit zwei Saiten ausgestattet, auf der jeweils 13 Töne erzeugt werden können. Über die Körperinterfaces wurden durch die Armund Handgelenkbewegungen Mia Zabelkas elektronische Impulse zur Robotergeige transferiert. Zusätzlich mobilisierten die Körperinterfaces ein Graphikprogramm in Innsbruck. Die dort eingespeisten akustischen Zeichen wurden in visuelle Bilder konvertiert. Diese aktivierten einen Sampler in Dornbirn und wurden dort wieder in akustische Zeichen umgesetzt, um endlich in die Raumakustik zu diffundieren. Der E-Gitarrist Seppo Gründler begleitete Mia Zabelka in Salzburg. Mit Hilfe von Effektgeräten (Midisaxophon) generierte er Töne und erzielte eine Sound-Entfremdung. Über Modern spielte Gründler drei E-Gitarren in Innsbruck.

In Innsbruck griff Gerfried Stocker mit zwei Datenhandschuhen durch die elektronischen Datenleitungen, um am Ende seine Instrumente, ein Schlagzeug in Salzburg und eine Marimba in Dornbirn, zu spielen. In Dornbirn bediente Andres Bosshard eine Kassettenmaschinerie und interagierte mit dem Sprecher Waldemar Rogojsza in Innsbruck. Damit war eine Tele-Präsenz aller Beteiligten gegeben. Bosshard war für die Raum- und Radiomischung verantwortlich. Während der Performance ergaben sich zwei Schnittstellen, eine optische und eine akustische. Die optische Schnittstelle bildete Innsbruck. Dort war es über Bildleitung möglich, vom Dornbirner und Salzburger Studio simultan visuelle Teilaussehnitte wahrnehmbar zu machen. Die akustische Schnittstelle befand sich in Salzburg. Salzburg sendete seine Raumakustik gemeinsam mit den Innsbrucker Klängen weiter nach Dornbirn. Diese wurden mit der dortigen Raumakustik aufgeladen und weiter nach Innsbruck gesendet, usw.. Die Zirkulation der Raumakustikschleife könnte bis zur akustischen Rückkoppelung getrieben werden, wenn Bosshard nicht eine differenzierte Raummischung programmiert hätte.

Das gesamte Event unterliegt einer schichtenförmigen Aufsplitterung in Teil-Events. Verschiedene Wahrnehmungsfelder werden projiziert: ein rein akustisches für die Radioempfänger und ein teil- akustischesoptisches für die Anwesenden in den einzelnen Studios. Der Hörer, der das Geschehen via Radio verfolgte, hörte die gesamte akustisch konstruierte Mischung. Der visuelle Akt, den nur die Studiogäste partiell miterleben konnten, war für den Rezipienten vor dem Radiogerät nicht wahrnehmbar.

Die AkteurInnen bei "Chip-Radio" verwenden das Massenmedium Radio als eine elektronische Zone, wo sie Wahrnehmungen (Körperund Räumklänge) adäquat zur Realisierung für Kunstereignisse umsetzen. Diese Kunst-Ereignisse können nicht wiederholt, sondern nur weiter generiert werden, deshalb werden auch Begriffe wie: Autor, Copyright, Originalität oder Virtuosität in Frage gestellt, sie verlieren ihre Autorität.

Romana Froeis       
Transit, Innsbruck, 1992        

        1) Decker Edith, Weibel Peter, Vom Verschwinden der Ferne, Telekommunikation und Kunst, Aussiellungskatalog, Köln, 1990, S. 47

Chip-Radio - Network Design
von Horst Hörtner

Die Absprache mit den ausführenden Künstlern während der gesamten Entwurfsphase ist nicht nur dazu angetan, die dem Konzept entsprechende Hardund Software zu finden, sondern soll die Networkuser (die Künstler/Innen) auf den rein praktischen Umgang mit dem Netz vorbereiten und ihnen ein neues Werkzeug nahe bringen, mit dem sie weitere Ideen und Konzepte entwickeln und verwirklichen können. Der Entwurf eines Netzes wird im ersten Stadium ausschließlich von den an das Netz gestellten Anforderungen gestaltet. Video-, Audio-, Datenübertragungen sind projektspezifisch auszuwählen. (Im Projekt "Chip-Radio" waren alle drei Übertragungsarten erforderlich.)

Der Prozeß der Planung wird getragen von der Auswahl der für das Projekt benötigten Übertragungsleitungen. Die Kriterien bei dieser Entscheidung sind: erforderliche Datenraten, Übertragungsqualitäten, Sendezeitpunkt (denn nicht zuletzt entscheidet der Zeitpunkt über Verfügbarkeit von Leitungen und Leitungsqualitäten), Sendemodi, personeller Aufwand und natürlich die Kostenfrage.

Nach Feststehen der Vernetzungsarten (Funk, Direktsatellit, Telefon, Kabel oder Lichtwellen) wird die Hardware zusammengestellt. Transmitter, Reeeiver und diverse Umsetzer werden v. a. nach der zu erwartenden Datenmenge und dem unterschiedlichen Softwareentwicklungsaufwand bestimmt. Die Kompatibilitäten zur vorhandenen, bzw. zu den von den Künstlern verwendeten Geräten müssen geklärt, etwaige Hardware eigens entwickelt werden (Hard- und Software des von Mia Zabelka verwendeten Bodyinterfaces).Für jeden Knoten des Netzes (für jede/n Künstler/In, Roboter) werden Interfaces festgelegt, d.h. jede Art von Netzzugang wird hier eindeutig determiniert. Unterschiedliche Übertragungsprotokolle ("die Grammatik") für die Kommunikation der Rechner untereinander werden ausgewählt (dabei versucht man im allgemeinen mit Standardprotokollen wie Midi oder ähnlichen seriellen Protokollen auszukommen). Die komplexen Steuerungsaufgaben erfordern jedoch meist Erweiterungen (Für "Chip-Radio" sah man sich unter anderem gezwungen ein völlig neues Kommunikationsprotokoll zwischen dem Receiverteil und dem Schlagzeugroboter zu entwickeln).

Der Großteil der Arbeit an diesem Netzwerk war bestimmt von der Softwareentwicklung und den Protokollabstimmungen der Computer und Roboter untereinander. Der Austausch riesiger Datenmengen bei gefordertem Echtzeitverhalten (Echtzeit: zwischen Steuerung und Ausführung eines Events innerhalb eines Systems besteht keine zeitlich nachvollziehbare Versetzung) war das Problem, das das Projekt dem Network-Designer stellte: Eine erfolgreiche Aufführung, sowie die Ausstrahlung der musikalischen Ereignisse via Radio, beides von bestechender Qualität, waren die Antwort, die die Künstler mittels dieser Installation geben konnten.

Horst Hörtner       

Der Medienworkshop Transit  bietet den teilnehmenden Künster(inne)n, Medienfachleuten, Technikern, Philosophen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, den Aktionsradius im heute gegebenen medialen Kontext auszuloten. In einem neu zu definierenden medialen Kontext werden hingegen neue Formen des Agierens gesucht.
http://transit.tiroler-landesmuseum.at/index.html


1992 CALENDAR 2