KUNSTRADIO


"Die lange Bahnfahrt der
Lucienne Bloch und der Frida Kahlo
von Detroit nach Mexico City 1932"


ein Hörstück von Katharina Riese


Regie: Elisabeth Arzberger und Katharina Riese
Technik: Ing. Gerhard Wieser
Produktion: ORF-Kunstradio (Leitung: Heidi Grundmann)



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http://www.kunstradio.at/1992B/MP3/10_09_92.mp3

Die Tagebuchaufzeichnungen der heute 81jährigen Künstlerin Lucienne Bloch über ihre Erfahrungen und Eindrücke als Begleiterin der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, die im September 1932 von Detroit nach Mexico City fuhr, um dort ihre todkranke Mutter zu besuchen, bilden den äußeren Handlungsrahmen des eigentlichen Themas dieses Hörstücks: die Existenzbedinungen schöpferischer Frauen im 20. Jahrhundert.

Um sich den beiden Künstlerinnen Lucienne Bloch und Frida Kahlo und ihrem inneren Erleben anzunähern, ist Katharina Riese die Strecke Detroit -Mexico City 60 Jahre danach in einer Art Pilgerreise nachgefahren. 40 Minuten Zuggeräusche transportieren eine Komposition aus Texten, O-Ton, Prosa und Fakten. Der historische Zeitrahmen, die sehr unterschiedlichen Persönlichkeitsprofile der beiden Künstlerinnen lassen sich erahnen.

Zum Zeitpunkt der Reise sind die beiden Frauen noch sehr jung (Frida Kahlo ist 25, ihre Freundin 24 Jahre) und doch schon ausgereifte Persönlichkeiten. Ihre Empfindungen werden von den politischen Ereignissen der Zeit geprägt: Massenarbeitslosigkeit und Armut, der Geist des Antisemitismus zeigt in Europa bereits sein gewalttätiges Gesicht; Auch in Übersee lassen sich Künstler von der Russischen Revolution und den marxistischen Ideen begeistern.

Lucienne Bloch und Frida Kahlo haben einiges miteinander gemein: die beiden Künstlerinnen jüdischer Abstammung sind mit Männern liiert, die ebenfalls die Kunst zum zentralen Lebensinhalt gemacht haben: Frida Kahlo ist mit dem Maler Diego Rivera verheiratet, Lucienne Bloch mit Stephan Dimitroff, Assistent bei Rivera. Beide sehen also zu einem "Meister" auf und geraten als Frauen berühmter Männer und Künstlerinnen in Konkurrenzverhältnisse ihren Ehegatten und anderen Frauen gegenüber, Dennoch sind die beiden Frauen ihrem Wesen nach sehr verschieden: Frida Kahlo gibt sich dramatisch und aggressiv, sie steht im Mittelpunkt. Lucienne Bloch ist eher distanzierte Beobachterin, nichtsdestoweniger aber witzig und warmherzig.

Auch die Reise von Detroit nach Mexico ist für die Künstlerinnen von sehr unterschiedlicher Bedeutung: während sie für Lucienne Bloch bloß eine interessante Abwechslung darstellt, ist sie für Frida Kahlo ein Leidensweg, eine Eskalation des physischen und psychischen Schmerzes. Die vorübergehende Trennung von Diego Rivera macht sie verzweifelt. Ihr Gesundheitszustand ist sehr schlecht: sie ist gezeichnet von den Folgen eines schweren Straßenbahnunfalls in ihrer frühen Jugend, sowie von einem kürzlich erlittenen Abortus. Immer wieder gerät sie in Angst und Panik, ihre Mutter nicht mehr lebend zu sehen. Die Zugreise, das Befördertwerden durch Landschaften, wird zum Symbol für die gemeinsam begangene "Fahrt" durch eine Epoche. Die Fahrtrichtung, sowie der Erlebnishorizont ist durch Gleise vorgegeben und begrenzt. Für (schöpferisch tätige) Passagierinnen ist es schwierig, die Route selbst zu entscheiden, neue Welten abseits der Gleise zu ergründen, Auch 60 Jahre nach Frida Kahlos und Lucienne Blochs Reise.

Das Hörstück "Die lange Bahnfahrt" ist Teil eines multimedialen Projekts von Katharina Riese, die ihre "Pilgerfahrt" - ausgehend von den Tagebuchnotizen Lucienne Blochs - filmisch und mittels Tonbandaufzeichnungen dokumentiert hat. Unter Anwesenheit von Lucienne Bloch wird Katharina Riese in der ALTEN SCHMIEDE am 10. September 92 um 18.30 ihre Erzählung "Die lange Bahnfahrt-.." sowie die FiIm- und Tonbanddokumentationen der Reise präsentieren.


1992 CALENDAR 2