KUNSTRADIO


"7. Mai"


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Text: Andreas Okopenko
Für das Kunstradio bearbeitet von Reinhard Handl
Technik: Ing. Gerhard Wieser


"7. Mai" nennt sich der Text Okopenkos, der die literarische Grundlage für dieses Kunstradio-Hörstück bildet.

Ein 7. Mai, der "ersehnt" wurde: Ein "strategischer Tag", ..... "als die Steuern sich endlich bezahlt machten und der blendendrosa Himmelsofen anheulte, für den Augenblick bekamen die schmelzenden Städte hoch oben Silhouetten und Fenster zurück ..." Andreas Okopenkos pechschwarzer Humor kommt auch in seinem neuesten Beitrag für das ORF-Kunstradio zur Geltung; denn jener besagte 7. Mai dessen Alltagsszenerie zu Lande und in der Stadt er gleichsam aus der Vogelperspektive treffsicher beobachtet, scheint nicht nur der letzte 7. Mai für alle Zeiten, sondern auch der (vor)letzte Tag der Menschheit und ihres Planeten zu sein: Denn am 8. Mai des Jahres 2213 habe - so berichtet der Erzähler im sarkastischen Tonfall - die Sonne ihren Platz im HR-Diagramm verlassen, sich zum Riesen aufblähend, sodaß die Leute auf Proxima Centauri ihr Nachtschauspiel hatten in Lauben, Betten und Observatorien".

Der mit fast allen österreichischen Literaturpreisen ausgezeichnete Wiener Schriftsteller ist seit 1969 immer wieder auch als Hörspielautor in Erscheinung getreten. Sein Hörstück "Noch einen Sketch" war im Juni 89 im ORF-Kunstradio vertreten. Inhaltliche Parallelen zum aktuellen Stück ergeben sich lediglich durch die Position und Sichtweise des Autors, der sich als "totaler Realist" bezeichnet: der "ganz normale Alltag" ist eine Aneinanderreihung von Minidramen, die von ihren jeweiligen Protagonisten aber offenbar nicht als solche empfunden werden. Der Abgrund der Verzweiflung, der sich rund um diesen in verschiedene kleine Szenen gefaßten "normalen Alltag" auftut, wird nur vom außenstehenden Beobachter erfaßt und artikuliert - und das nicht nur, weil die Beobachteten vom bevorstehenden Weltuntergang noch keine Ahnung haben. Da ist der Schuster, der ständig seinen Namen vorsichhermurmeln muß, weil er Angst hat, in einem Berg von Schuhen selbst zum "Schuh" zu werden. Oder die alte Dame in einem Eissalon, die drei Eiscafe` für sich auf einmal bestellt: "Ich habe Krebs! Ich will das Leben genießen!"

Die Erstarrung und die Ausweglosigkeit der Figuren, ihr Mangel an Handlungsalternativen spiegelt sich auch sprachlich, oft auch nur in einzelnen Wörtern wieder: "Das Kieferkind" im Vorraum des Zahnarztes, kann nur ein solches sein, weil sich sein ganzes Sein an diesem Ort und zu dieser Zeit auf seinen Kiefer beschränkt. Alles andere hat an Bedeutung verloren. Ähnliches gilt für die Einkaufstaschen tragenden "Vormittagsfrauen", für die "Spitalsingvögel", die "Pechgewinnungswälder" oder das "Bausparkassenhäuschen".

Reinhard Handl, für die Regie verantwortlich, ist es gelungen, die Atmosphäre und die literarischen Feinheiten des Textes auch in der Radiofassung hörbar zu machen. Die musikalische Untermalung entstammt dem "Buch der Klänge" von Hans Otte.


1992 CALENDAR 1