KUNSTRADIO


"Sounds from Chicago"

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Jahrzehntelang sah es ganz danach aus, als wäre die amerikanische Radiokultur ein nicht wiederbelebbarer Leichnam. "Easy Listening" hatte gesiegt: mit Hits, Spots und Slogans. Das goldene Zeitalter des amerikanischen Radiodramas der 30iger-Jahre war nur noch Legende. 1986 gab die Kultur des Hörens in Chicago wieder ein Lebenszeichen von sich: die "Sounds from Chicago", eine Gruppe junger Radio-Künstler, Komponisten, Musiker, Installations-Künstler, Performance- und Videokünstler, Filmemacher, sowie Theater-Ensembles und Choreographen machten mit ihren avantgardistischen Hörspielformen erstmals auf sich aufmerksam. Für ihre Hörstücke verwenden sie alle akustischen Materialien: Sprache, Geräusche, Musik. Keines dieser Elemente wir den anderen gegenüber in den Vordergrund gestellt: sie fügen sich "gleichberechtigt" zu einer umfassenden Hörsensation zusammen. Die "Sounds"-Leute haben - gleich welcher Kunstsparte sie angehören - ein gemeinsames Anliegen: der Bedeutung experimenteller radiospezifischer Kunst auch im öffentlichen (Hör)-Raum Gewicht zu verleihen - und mehr noch als das: neben der Propagierung von Radio-Kunst geht es ihnen auch um die Aktivierung des Hörsinns. Sie verstehen Hörkultur als eine Form von Gegenkultur zu jener, in der das Visuelle dominiert, die von den Hauptpfeilern Konsum und Technik getragen wird. Ihre Projekte realisieren sie im Experimental Sound Studio "ESS", das Künstlern aus verschiedenen Kunstbereichen und ethnischen Gruppen die Chance gibt, sich mit ihren Produktionen innerhalb des US-Hörfunksystems Raum und Gehör zu verschaffen.

Für die mehr als zwanzig Radio-Kunst-Produktionen der "Sounds from Chicago" interessieren sich nunmehr nicht nur Sender der nicht-kommerziellen Public Radio-Stationen, sondern auch die jungen HörerInnen der amerikanischen College- und Universitätssender. Ein Publikum, das mit Pop-Musik a la Brian Eno großgeworden ist, mit Laurie Anderson und anspruchsvollen Filmtracks.

In der Kunstszene Chicagos wirkt die "Sounds from Chicago" - Gruppe gleichermaßen als Focus und Katalysator: sie gewinnt Künstler aller Sparten dazu, ihren speziellen Ansatz im akustischen Medium umzusetzen. Damit wird die Kunstszene aktiviert: denn all das, was sich außerhalb des Studios in Galerien oder kleinen Theatern tut, kann akustisch artikuliert, auch in die vier Wände interessierter HörerInnen dringen.



1991 CALENDAR 2