KUNSTRADIO



Die Geometrie des Schweigens

Ein Symposion zur Theorie und Praxis einer Kunst im elektronischen Raum. Am Beispiel der Radiokunst.

Museum Moderner Kunst (Palais Liechtenstein), Wien
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck
Kunstradio-Radiokunst, Ö1
ORF-Landesstudio Tirol
Gesellschaft für Elektro-Akustische Musik, Österreich

"Radio kann nicht auf Senden und Empfangen, auf Kommunikation und Herrschaft reduziert betrachtet werden. Eine Radiotheorie kann nur auf der Basis einer allgemeinen Datentheorie entwickelt werden: vor einer Radio-, TV-, Video- oder Telekommunikationstheorie steht eine Theorie des Hintergrundes an, auf dem sich die obgenannten Medien abbilden lassen. Daß dieser Hintergrund ein Zeit/Raum ohne Raum und ohne Zeit sein muß, ist evident. Vorzustellen ist er hingegen schwer ..."
(Richard Kriesche).



Die Radiokunst kann auf eine verhältnismäßig lange Geschichte zurückblicken: Künstler wie z.B. Duchamp, Hausmann, Schwitters entwickelten bis heute nachwirkende Voraussetzungen; der Futurist Marinetti proklamierte in seinem Manifest "La Radia" (1933) und in seinen "5 Sintresi dal Teatro Radiofonico" eine Reihe von gerade heute aktuellen Ansätzen zu einer als Teil der Medienkunst verstandenen Radiokunst: Diese sollte zu einer "universellen, kosmischen, menschlichen Kunst" führen, zu einer Welt ohne "Zeit, Raum, gestern oder morgen". Dabei sollten die Eigenheiten des Mediums genutzt werden: "Interferenz, Statik (das Prasseln der Signale im Äther) und die Geometrie des Schweigens".

Die Geschichte der Radiokunst spiegelt die technischen und gesellschaftlichen Veränderungen des Mediums genauso wider wie die Wandlungen des Kunstbegriffes in unserem Jahrhundert. In Zusammenhang mit der musique concrete, John Cage, u.a. gibt es musikwissenschaftliche Arbeiten zu einer radiophonen Kunst. Besonders das sog. "Neue Hörspiel" regte Literaturwissenschaftler an, sich mit einer Radiokunst auseinanderzusetzen, an der vor allem Literaten und Künstler im Umfeld der konkreten/visuellen Poesie beteiligt waren. Und auch Bildende Künstler stießen seit den interdisziplinären Anfängen der Avantgarden unseres Jahrhunderts zunächst auf Sound/Worte als Material und, sobald es das Medium gab, immer wider auch auf das Radio. Zahlreiche Veranstaltungen der 70er und 80er Jahre trugen u.a. diesem Phänomen Rechnungen: z.B. "Für Augen und Ohren", Berlin 1980, "Sound als Medium Bildender Kunst", Wien 1980, "Documenta 8", Kassel 1987, "steirischer herbst", 1988, "Ars electronica", i.bes. 1989 "Im Netz der Systeme", "Biennale Sydney", 1988, "Wiener Festwochen 1990" usw.: Radio wird als vorgefundenes Material (unter vielen anderen) verwendet, zur Untersuchung des Phänomens der Präsenz an vielen verschiedenen Orten, des Phänomens der Simultanität, als skulpturaler Raum, als Medium zur Erzeugung von "Bildern im Kopf", etc.

Aufgrund der relativen Zugänglichkeit des Medkums und seiner Technologie für Künstler ist ein umfangreiches Anschauungsmaterial an Radiokunst als Medienkunst/Kunst im öffentlich/elektronischen Raum entstanden, realisiert von Künstlern, die keineswegs nur, aber eben auch mit diesem Medium arbeiten. Dieses Material sollte zu einer Theorie der Kunst der postindustriellen Gesellschaft einiges beitragen können.

Das Symposium

Die Veranstaltung besteht aus drei Teilen, einem theoretischen Teil mit Referaten, Statements und Diskussionen, einem praktischen Teil mit Vorführungen, Performances und Installationen sowie einer Live- und einer ganzen Serie von aus den Performances und Installationen entstehenden Radiosendungen.

Die Live-Radiosendung wird unter anderen Projekten von Künstlern auch den Abschluß des Projekts "RP4" bringen, bei dem 17 AutorInnen aus Literatur, Musik und Bildender Kunst zunächst zu einem dreitägigen Workshop in das gleichnamige digitale Hörspielstudio des ORF geladen waren und dann aufgefordert wurden, aus den Möglichkeiten und Räumen des Studios, das weltweit zu einem der avanciertesten seiner Art zählt, ein Projekt für das ORF-Kunstradio zu entwickeln. Der letzte Beitrag der Serie wird ein Live-Beitrag des bildenden Künstlers Helmut Mark sein.

Die theoretischen Auseinandersetzungen des Symposions gehen von drei Schwerpunkten aus:

  1. der elektronische Raum als Kontext von Kunst
  2. der elektronische Raum als Inhalt von Kunst
  3. der elektronische Raum als Ort von Kunst
Die Verknüpfung von auf allgemeinere Voraussetzungen heutiger Kunstproduktion eingehenden Vorträgen mit solchen, die sich am Beispiel der Radiokunst mit enger umrissenen Fragestellungen befassen, soll verhindern, daß sich die Theorie verselbständigt.
  1. Auch KünstlerInnen, die auf den ersten Blick im Bereich von Malerei und Skulptur arbeiten, tun dies auf den nächsten Blick im Bewußtsein der Verquickung des gesamten Kunstbetriebs mit den Räumen der Massenmedien und neuen Kommunikationstechnologien. Die Veränderung der Rolle von Kunst, des Objekt-Begriffs, des Werk-Begriffs, des Begriffs des Autors oder Ablösung der klassischen Kommunikationsbegriffe u.ä. könnten in diesem Teil des Symposions thematisiert werden.

  2. Leitbegriffe einer Kunstpraxis, die den elektronischen Raum, die Massenmedien, zum Inhalt nimmt, sind Appropriation, Piraterie und Recycling. Dazu kommen klassische Methoden der Kunst des 20. Jh., die wie das Versetzen/Übertragen von einem Kontext in den anderen, die Collage, die Montage, das Cut/Up von KünstlerInnen z.T. von neuem appropriiert und recycled werden - ohne, daß dabei notwendigerweise das Museum, die Galerien, die Ausstellung aufgesucht werden müssen bzw. die Deklaration zum Kunstwerk für alle sicht- bzw. hörbar sein muß.

    Die Aufzeichnungs-, Speicher- und Reproduktionstechnologien, die alles ent-körperlichen und zu (Daten)Material machen, das in beliebigen Erscheinungsformen abruf- und manipulierbar wird, sind genauso Inhalt von Kunst wie die Simultanität all dieser Vorgänge.

  3. Die Frage der Zugänglichkeit und die Möglichkeiten der Nutzung von neuen Technologien und Massenmedien für KünstlerInnen sowie deren Auswirkung auf die Kunst werden hier zu thematisieren sein, genau so etwa die Möglichkeiten bzw. Schwierigkeiten der Vernetzung von traditionellen Orten der Kunst mit dem elektronischen Raum. Die Auswirkugnen einer Arbeit im elektronischen, zu einem Großteil öffentlich/institutionalisierten Raum auf die Rolle von Kunst und KünstlerInnen, auf den Werkbegriff, den Begriff des Autors, der Autorenschaft werden hier wie bereits unter den vorher genannten thematischen Schwerpunkten wahrscheinlich neuerlich angesprochen werden.
Das Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck, das seit einiger Zeit einen Medienkunst-Zyklus in seinem Programm hat, wird mit dem Wiener Symposion, u.a. auch in einigen Performances, via Leitung verbunden sein.




1991 CALENDAR 2