KUNSTRADIO


"Four Channels"


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Hörwerk Nr. 14 von Barry Bermange


MODERATION:

Barry Bermange ist englischer Autor, Regisseur und Hörspielmacher, der seine Arbeiten meist selbst realisiert. Eine dieser Arbeiten ist das Hörwerk Nr. 14 "Four Channels". Barry Bermange, der in London lebt, kommt es offenbar weder auf Aktualität noch auf beste Tonqualität, wie sie im Radio gern gefordert wird, an. Sein Hörwerk Nr. 14 hat er dem ORF-Kunstradio auf Cassette geschickt, zum Anhören und zum Senden; ein Lowtech-Produkt also, wie übrigens keineswegs alle Arbeiten von Bermange.



Eine Einführung zu den Werken Barry Bermanges von Michael Schäffermayr (1986):

Seit seinem Hörspieldebüt "Nathan und Tabilet", Radio Bremen 1964 hat Barry Bermange viele Hörstücke im Geiste eines gallig-bitteren aber immer auch distanziert ironischen-schwarzen Humors geschrieben, der seine Kraft aus einer Art angewandter Konsequenz-Logik bezieht. Zugleich experimentiert er auch seit den frühen 60er Jahren mit der Gattung Hörspiel und mit den Möglichkeiten des Radios. "Hörwerke für Stimmen" nennt er diese Arbeiten. Immer aber ist er aber bislang zu dialoggebundenen, in erster Linie thematisch orientierten Hörspielen zurückgekehrt.

Warum dieser Wechsel innerhalb des Genres Hörspiel, warum der Wechsel zwischen künstlerischen Ausdrucksweisen?

"Ich glaube Schönberg hatte eine Antwort auf diese Frage. Er schrieb, daß das was manche als Stiländerung deuten, im Grunde eine Evolution, eine Entwicklung darstellt. Es geht nicht um die Fähigkeit einen bestimmten Stil in der Arbeit herauszuarbeiten und dann immer dabeizubleiben. Ich glaube nicht, daß das jemand kann und macht als lebender Organismus."

Das Stück "Sozialhilfe" entstand 1976, wurde 1980 vom Westdeutschen Rundfunk produziert und im selben Jahr gesendet. Es ist in unterschiedlichen Hinsichten ein Schlüsselwerk des englischen Autors. Zum einen war es durch sein dialogisch entfaltetes Thema auf eine traditionelle, wenn auch nicht im Banne eines platten Realismus stehende literarische Hörspielästhetik, zum anderen akzenturiert es durch die Rhythmisierung der Sprache, durch die langen Pausen und die Geräusche ein musikalisches Verständnis von Hörspiel. Es nimmt daher nicht Wunder, daß Bermange immer wieder musikalische Begriffe für die Beschreibung seiner Arbeit benutzt. Von der Malerei her kommend spürt er der Musikalität in der Sprache nach und entwickelt eine ganz eigene Sondersprache, die weder Musik ist, noch Literatur, sondern eben akustische Kunst. Vom Medium in dem und für das es entstand kaum zu trennen.

Mit den "Four Inventions", Produktionen der BBC aus den Jahren 1965-68 hat Bermange seine "Hörwerke für Stimmen" begonnen. Der erste grundlegende Teil dieses Zyklus ist "Dreams". Thema dieser Originaltonmontage (übrigens eines der ersten Beispiele für die Verwendung von O-Tönen im Hörspiel) sind Alb- und Glücksträume. Menschen beschreiben Erlebnisse und Bilder ihrer Träume und Bermange montiert Fetzen dieser Beschreibungen zu einem dichten Traumteppich, in den er typische Inhalte solcher Träume wie Verfolgung, Fallen, stürmische See wie Muster einwebt. Ein anderer Schwerpunkt, der um das Thema "Ehe" kreist, bilden die Hörspiele "Szenen aus dem Eheleben", Westdeutscher Rundfunk 1973, "Knochen", Westdeutscher Rundfunk 1984, sowie "Nathan und Tabilet", das in zwei völlig unterschiedlichen Versionen vorliegt. Die erste Fassung, die 1964 von Horst Löbe für Radio Bremen entstand, ist ein "einfaches Drama", wie Bermange formuliert und in dem Dialoge eines alten Ehepaares im Vordergrund stehen. In der zweiten Fassung "Nathan und Tabilet neu erzählt" aus dem Jahr 1984 ist aus dem einfachen Drama ein anonym gesteuerter Prozeß geworden. Bermange hat ein "Hörwerk für Stimmen" daraus gemacht, d.h. er hat die radiophonischen Verfahrensweisen, die er in "Four Inventions" zum ersten Mal ausprobierte, in "Nathan und Tabilet" eingesetzt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Fassungen ist einer ums Ganze.

Mit "S.O.S", einer Koproduktion der BBC, des Westdeutschen Rundfunks und des Norddeutschen Rundfunks aus dem Jahr 1979 eröffnet Bermange nach den "Four Inventions" seine zweite Reihe mit vier thematisch und formal eng verwandten "Hörwerken für Stimmen". In ihnen versucht der Autor "extreme Erscheinungen menschlichen Leidens sprachlich und musikalisch zum Ausdruck zu bringen". Mit Hilfe von Sprache, Geräusch und Stille wird das Anliegen der gesammten Reihe ausgestellt. Der dringende Apell: die direkte Anrufung der Hörer, die direkt verzweifelt fragende Hilferuf in einen Raum, von dem zu befürchten ist, daß er leer sei. Dies mögliche Vakuum, in das die Hilfeschreie gehen, konkretisiert Bermange in allen Hörwerken dieser Reihe durch Stille.

"Wir langen über uns hinaus. Wir suchen andere anzurühren mit Worten und Geräuschen. Wir horchen. Schweigen steht zwischen uns. In ihm horchen wir einander zu, warten wir einander. Auch Schweigen ist Mitteilung. Was fehlt ist die Mitteilung von Lauten von Leben. Es teilt Spannung mit, Angst".

In "Warcries", einer Auseinandersetzung mit dem Atombomenabwurf über Hieroshima und Nagasaki, 1981 im Westdeutschen Rundfunk produziert, findet sich dann zum ersten Mal der für diese Werke charakteristische zyklische Aufbau. Eine begriffliche, kurz das Thema erläuternde Einführung, der Wechsel von Einzelstimmen und Chören, lange Pausen, der Verzicht auf eine die Sache letztlich personalisierende und verharmlosende Handlung und schließlich die Reduktion von Sprache auf eine kurze, gewissermassen referierende und unermüdlich wiederholte Darstellung der Fakten.

Für "Die Soldaten", 1985 als Auftragswerk für den Sender "Freies Berlin" entstanden, formulierte die Akademie der Freien Künste, die dieses Hörwerk Nr. 9 im Mai dieses Jahres zum Hörspiel des Monats wählte: "Während Hörfunk und Fernsehen die Aufbereitung dieses Themas meist mit den Mitteln eines erschöpften Realismus tun, sieht Bermange die Stilisierung und Verknappung vor". Versucht man, das zentrale Konstruktionselement im Hörspielwerk Berry Bermanges zu formulieren, so fällt vor allem das Prinzip der Reduktion, insbesonders derjenigen, des sprachlich-stimmlichen Materials auf:

"Von Anfang an war mein Ziel, Material zu straffen und zu editieren, die Dinge auf ihre Essenz zu reduzieren und in die kleinsten Einzelteile, die noch funktionieren können, zu zerlegen. Wenn Musik entstehen soll, werden diese Teile wieder zusammengefügt. Meine Musik wird aus Fragmenten produziert, die dann neu zusammengefügt werden."


Das "Hörwerk Nr. 14" stellt eine konsequente Weiterentwicklung der dargestellten Neigung Bermanges zur Reduktion von Klangstrukturen dar. Das Hauptelement in diesem 1989 entstandenen Werk ist die Stille, die Bermange schon immer interessiert hat, besonders die Stille im Radioraum, die den Hörer dann aufhorchen läßt, weil sie den gewohnten Fluß an akustischer Information unterbricht. Das Material zu diesem Hörwerk ist, wie schon der Titel besagt, der Sound von 4 Fernsehkanälen.


1991 CALENDAR 1