KUNSTRADIO


Radiokunst aus Kanada


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ausgewählt von Bruce Barber
Mit Beispielen von Dan Lander, Andy Dowden, Clive Robertson und aus der Sendereihe "Turbulence"


Ein Überblick über die Radio- und Radiokunstlandschaft Kanadas von Toronto bis zur Küste von Neu Schottland im Jahre 1989. Der große Kommunikationstheoretiker Marshal MacLuhan stammt ebenso aus Kanada wie der Komponist und Soundforscher Murray Schaeffer. Glenn Gould stürzte sich hier in seinen letzten Lebensjahren im kanadischen Rundfunk mit genialischer Besessenheit vom Instrument Klavier auf das Instrument und Medium Radio.
Beispiele zur kanadischen Radio- und Radiokunstlandschaft
von
Bruce Barber
Kanadas kommerzieller Rundfunksektor hat sich historisch in starker finanzieller und programmlicher Abhängigkeit von den US Networks entwickelt. So waren beispielsweise die wichtigsten Radiostationen in Montreal und Toronto bis Mitte der 30er Jahre direkte Ableger der amerikanischen Gesellschaften. Heute besitzt das Land 450 rein kommerzielle Radistationen die ihr Programm fast zur Gänze aus den sattsam bekannten US-Eintopf bestreiten. Aber eben nur fast zur Gänze was seinen Grund in einer medialen Quotenregelung hat. Um die Überlebensfähigkeit des eigenen Rundfunksystems zu sichern und den einheimischen Kulturschaffenden Arbeitsmöglichkeiten zu garantieren, sind seit 1970 Eigenproduktionsquoten für den Hörfunk vorgeschrieben. Das bedeutet, daß je nach Charakter von Station und Sendung zwischen 10 und 30% kanadischer Musiktiteln gespielt werden müßen. Da aber bezüglich der Platzierung keinerlei Auflagen bestehen, verfügen die kommerziellen Radioanbieter über genügend Hintertüren, um die weniger populäre Musik in die einschaltschwächeren Sendezeiten abzuschieben. Außerdem bedeutet die Quotenregelung zwar kanadische Quantität im Funk, aber nicht unbedingt kanadische Qualität. Die zu senden, weigert sich das Massenradio bis heute. Aber das ist ja keine kanadische Eigenheit.

Quotenregelung die Zweite: Neben den 450 Kommerzstationen betreibt die öffentliche Rundfunkgesellschaft CBC 4 landesweite Radionetzwerke auf Mittelwelle und UKW, in englischer und französischer Sprache. Staatlich getragen, verzichtet die CBC seit 1975 auf jegliche Werbefinanzierung ihrer Hörfunksendungen. Sie entzieht sich so weitgehend dem Druck von Einschaltquoten und kann es sich daher auch leisten, den von der CRTC - der Canadian Radio Television and Telecommunication Commission - geforderten Mindestanteil an kanadischen Eigenbauproduktionen freiwillig anzuheben. CBC sendet auf dieser Basis ein semi-anspruchsvolles Spartenprogramm aus E und U sowie Magazinen und Features, das trotz durchformatierter Konkurrenz in den Großstädten immerhin noch durchschnittliche Reichweiten von 10% erziehlt. Radio-Art aber, also Radiokunst als kreative Ausdrucksmöglichkeit des Mediums selbst, findet auch hier nicht statt. Dazu müßte man noch weiter hinein in den Ätherdschungel. Hinein in die Städte, denn am Land herrscht - bis auf kleinere Universitätssender - überhaupt kreative Funkstille. In den Städten finden sich Radionetzwerke von Gegenkultur und Subkultur mit einer Reichweite der Sender von 2 Kilometer bzw. bis zur Stadtgrenze wie z.B. CKLN in Toronto.

CKLN ist eine von unzähligen Communityradiostationen die verstreut über das ganze Land die Alternative zu den kommerziellen Sendern darstellen. Communityradios besitzen oft nur wenige Kilometer Reichweite, dafür aber eine Stammhörerschaft die sich wie eine Familie um ihren Sender schart. Das müßen sie auch denn Communityradios sind Abonnentenstationen die von den eingezahlten Beiträgen der Hörer leben. CKLN z.B. hat 7 bezahlte Mitarbeiter und über 150 unbezahlte Volonteure, umfaßt eine fixe Stammhörerschaft von 80 000 Zuhörern und hat immer zuwenig Geld, denn zum Zahlen zwingen, können die Communityradios ihre Kundschaft nicht. So veranstaltet man jährlich Riesenfeiern bei denen dann der Hörerbeitrag als Eintrittsgeld eingesammelt wird. Andere Möglichkeiten bestehen darin bedruckte T-Shirts zu verkaufen detailierte Programme der Stationen in denen dann die ortsansäßigen Alternativlokale einen Werbeplatz buchen, zu publizieren usw.

Nicht selten werden diese nichtkommerziellen Stationen der Communityradios, die keine Werbung senden dürfen von bestimmten Interessensgruppen geführt wie z.B. von einer lokalen Greenpeacefraktion, von ethnischen Minderheiten oder gesellschaftlichen Randgruppen, die sich so - via Radio - ein Netz der Solidarität und der gegenseitigen Unterstützung knüpfen. Solidarität und die Erkenntnis von Stärke durch basisdemokratische Zusammenarbeit führten dazu, daß sich immer mehr dieser verschiedensten Interessensgruppen zusammenschlossen. Dadurch entstand eine neue Form von nichtkommerziellem Radio - das sogenannte Cooperativradio, kurz COOP Radio."Unser erstes Anliegen ist es, ein Sprachrohr für jene Menschen zu sein, die zu den Mainstream-Medien keinen Zugang erhalten. In öffentlichen Angelegenheiten bedeutet dies, daß wir unsere Sendezeit der Frauenbewegung, der Arbeiterbewegung, der Friedensbewegung, den Indianern, der Schwulenbefreiung, der Umweltproblematik, Lateinamerika und nicht zuletzt der Sache der Palästinenser zur Verfügung stellen. In Musik und Kunst sind wir jenen Interpreten und Stilen verpflichtet, die vom kommerziellen Radio ignoriert werden. Ethnische Programme in den Sprachen unserer Minderheiten sind ebenso zu forcieren. Alles in allem streben wir nach einem Programm, welches antirassistisch, antisexistisch und aufklärerisch ist. Das und nur das soll aus dem Äther dringen."

Auch die Künstler als Interessensvereinigung besitzen in Kanada ein funktionierendes Produktions- und Distributionsnetz sowie eine Reihe von selbstverwalteten Gallerien. Diese Art kreativer Selbsthilfe wird vom Staat dadurch gefördert, daß er die Künstler von den täglichen laufenden Kosten befreit. Dies wiederum ermöglicht eine kontinuierliche Entwicklung einer künstlerischen Basis, weil Strukturen finanziert werden und keine halbherzigen Alibistipendien.

In diesen Strukturen kann manchmal so etwas wie Turbulenz entstehen - "Turbulence" eine Kassettenedition als Radioprogramm. "Turbulence" gibt es seit 12 Jahren. Es ist der Sender der Universität London Ontario und strahlt jeden Sonntag abend sein einzigartiges Programm aus. Bruce Barbar zitiert einen Ausschnitt aus der Programmschrift: "Turbulence ist ein gemeinsames Radioprogramm zweier bildender Künstler von Sam Krisan dem Gründungsmitglied das sich zurückgezogen hat und Toni MacAuly die beide daran glauben das Radio die Komplexität der Kunst selbst und ihren Wert in und für die Gesellschaft diskutieren sollte. Erkennen, hören und sehen sind voneinander verschiedene Aktivitäten. Sich von etwas ein Bild machen ist ein analytischer, hören ein kreativer, erzeugender Vorgang. Diese zwei Künstler glauben an die Schönheit und den einzulösenden sozialen Wert der Kunst. Sie wollen ausdrücklich die Imagination fördern und den Hörer motivieren, die Beschaffenheit unserer Kultur zu hinterfragen. Solche Fragen sind notwendig für den Fortschritt unserer Gesellschaft. Turbulence ist ein freies Radio in seiner besten Form - organisch, vorurteilsfrei und unbeeinflußt und hauptsächlich dazu da, dem Hörer die Möglichkeit zu geben, neue, sich oft jeder Kategorisierung verweigernde Sounds zu hören. Die erklärte Absicht ist es, kontroversiell und bewußt kämpferisch zu sein, um Gedanken zu provozieren und Diskussionen zu fördern. Die verschiedenen Programme widmeten sich unter anderem Gilbert und George, Laurie Anderson, Joseph Beuys, der Musik und den Klängen von Meredith Monk, Julia Hayword, Dennis Oppenheim und Themen wie z.B. Zusammenarbeit in der Kunst, Zensur und Kunst, Kunst und Erziehung und verschiedenen autobiographischen Arbeiten. Turbulence läuft noch immer und seit 10 Jahren ist es das Herz der Audio-Art-Szene von London Ontario.

In "Turbulence" wurden z.B. die Texte im Grenzbereich zwischen Kleinkunst und Soundpoetry von Marianne Cadell uraufgeführt. Marianne Cadells Parodie "I have been redeemed" - Ich wurde erlöst - eine ironische Paraphrase auf die Radio- und TV-Prediger, die auch im kanadischen Network ihr seltsames Unwesen treiben, hätte bei kommerziellen Stationen wohl kaum eine Chance gesendet zu werden. Auch die Areiten von Dan Lander wurden als er noch keine eigene Sendung hatte, in Turbulence aufgeführt. Landers wöchentliche Sendung "The Problem with Language" ist hingegen auf CKLN jeden Sonntag von 23 Uhr bis 2 Uhr früh auf der Frequenz 88.1 zu hören.

Als Beispiele zur kanadischen Radio- und Radiokunstlandschaft waren in der Sendung ORF-Kunstradio Ausschnitte aus folgenden Arbeiten zu hören:

  • "Limited Choices in Equal Time" - begrenzte Wahlmöglichkeiten zur gleichen Zeit, ein Radiokunststück von Dan Lander. Als Basismaterial verwendet Lander das, was zur Zeit der Aufnahme bei ihm zu Hause aus dem Radio kam. Auf das von diversen UKW-Stationen Gesendete legte er doppelt so viel Hall wie auf die Mittelwellensender. Lander nennt es eine Art von analoger Reaktion auf digitale Behandlung.

  • "It's not a Lovesong" und "Hegemony" von Clive Robertson. Das Stück "It's not a Lovesong" hat Robertson 1981 im eigenen Studio aufgenommen. Robertson ist Mitherausgeber und Gründer der Soundkassettenedition "Voicepondence" und der politisch angagierten Kulturzeitschrift "Fuse" die sich neben radikaler Kunst auch mit Themen wie Feminismus, 3. Welt oder Zensur beschäftigt.

  • "Le Tab Poets": Lilian Allan, Cliften Joseph und Davan Horten sind drei Literaten, die ihre politischen Texte wöchentlich im Reagge-Show-Case von CKLN zu tab-Rhythmen vortragen.

    "In den 60er Jahren", erzählt Bruce Barber, "bestand in der kanadischen Kunstszene ein reges Interesse an der Kultur des Ostens, an Afrika und am karibischen Raum. Jetzt, durch den Einfluß von Künstlern wie den "Tab Poets" oder Clive Robertson, erwacht dieses Intersse von neuem und ebenso ein politisches Bewußtsein, das sich in den Werken von Künstlern wie etwa Andy Dowden manifestiert oder auch in der Arbeit der Turbulence-Gruppe."

  • "Prime Time Video Game Commercials on Hold" von Andy Dowden dem Künstler der bisweilen seine Botschaften mit dem Megaphon herausschreit. Dowden ist ein typischer Vertreter einer entgrenzten kanadischen Avantgard jenseits eines puristischen Akademismus. Für Künstler wie Andy Dowden liegt kein Widerspruch darin heute am Center for Art Tapes in Halifax zu arbeiten und morgen als Gitarrist und Sänger einer Rockgruppe brachialen Primitivrock zu spielen. Übermorgen kann es dann eine Soloperformance sein oder ein Stück Audio-Art produziert für das lokale Art Communityradio.



1989 CALENDAR 1