von Jon Rose
In Berlin findet zur Zeit - veranstaltet von der Akademie der Künste und
dem Berliner Künstierprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
(DAAD) - das Festival Neuer Musik "INVENTIONEN 89" statt. Ein Teil dieses
Festivals steht unter dem Motto "The Relative Violin". Kenner der Szene
denken dabei sicher sofort an den 1976 nach Australien ausgewanderten
britischen Musiker, Künstler, Hörspiel und Filmemacher Jon Rose, dessen
Projekte seit seinem australischen Neubeginn immer unter dem Titel "The
Relative Violin" stehen. Tatsächlich ist Jon Rose zur Zeit Gast des DAAD in
Berlin und hat einen Teil des Festivals "INVENTIONEN '89" konzipiert und
realisiert. Dazu wurden an eine Reihe von Künstlern aus Europa, den USA und
Australien Aufträge für Arbeiten zum Thema "Violine" vergeben: Es
entstanden Installationen, Vidoefilme, Musikstücke vom Tonband und 10
Hörspiele in einer Länge von 5 bis 13 Minuten. darunter z.B.: "Die kleine
Trompete - Das linke Ohr ist dem Geschehen am nächsten" von Frieder
Butzmann und Thomas Kapielski, zwei Autoren, denen es immer wieder gelingt,
neue Ansätze der Audio-Art und des Hörspiels mit Humor zu verbinden, "Rambo
und die Geige" von Anette Kurth, die aus der renommierten Hörspielabteilung
des WDR Köln kommt, "The Rehearsal" von Rainer Linz ("Ein berühmter, aber
fingierter Geiger übt - nicht ohne Unterbrechungen..."), "No Strings
Attached" von Christian Marclay, ein Hörspiel, das ausschließlich aus
gefundenen Schallplatten komponiert worden ist usw. In der Sendung
"KUNSTRADIO - RADIOKUNST" stellen wir eine Auswahl aus diesen
Hörspielen vor und widmen auch die Sendung vom 9. Februar den Hörspielen aus dem
Projekt "The Relative Violin" bei den INVENTIONEN '89. Diese Radiopremiere
der sehr unterschiedlichen Kurzhörpiele, die bisher nur in der Akademie der
Künste in Berlin aufgeführt worden sind, bietet einen gerafften Überblick über aktuelle Formen und Tendenzen des Hörstückes. Im ORF-KUNSTRADIO wird aus Anlaß dieser Präsentation natürlich auch Jon Rose selbst zu Wort kommen. JON ROSE: THE RELATIVE VIOLIN Seit über 10 Jahren widmet der Komponist, Künstler, Hörspielund Filmemacher Jon Rose seine sämtlichen Arbeiten dem Thema Violine/Geige. Dazu zählen Konzerte, Schallplatten, interaktive Installationen, Performances, Hörspiele und Filme genauso wie Ausstellungen aus seiner reichen Sammlung von visuellem Material zum Thema oder Veröffentlichungen eines fiktiven Wissenschafters. Vor allem aber arbeitet Jon Rose immer wieder mit anderen Künstlern zusammen. Zuletzt veranstaltete er zusammen mit Matthias Ostervold beim Inventionen 89 Festival in Berlin einen Programmteil "The Relative Violin", der Modell für eine viel größere Veranstaltungsserie sein könnte: Inhaltlich und formal bieten sich die vielfältigsten Möglichkeiten an, von historischen Bezügen über Folkloristisches, den Stehgeiger, den Virtuosen bis hin zu neuesten Entwicklungen, in der Performance genauso wie beim Musiktheater oder im Elektkronik-Bereich. Jon Rose bezieht immer auch die spezifische Kulturgeschichte der Geige des jeweiligen Ortes, an dem er arbeitet, mit ein. Welche Städte könnten da mehr bieten als Wien und Budapest? Im ORF sind sowohl die Musikabteilung wie auch das ORF-KUNSTRADIO an einer solchen Serie interessiert. Eine Ausdehnung in andere Bereiche ist bei einem so kulinarischen Thema durchaus denkbar.
Zur Einführung: MYTHOS GEIGE Beginnen wir mit den Legenden: Nero habe Geige gespielt, während Rom in Flammen aufging (Ganz unglaublich, weil die Geige noch nicht erfunden war) - Der Teufel selbst habe Paganini den Bogen geführt (Glauben?). Sherlock Holmes habe beim Geigespielen schwerste Verbrechen aufgeklärt (Die Leute schreiben immer noch Briefe an diesen fiktiven Detektiv) - Einstein sei ein talentierter Geiger gewesen (Personen, die ihn gehört haben, bejahen dies keineswegs) - Man könne ohne weiteres eine "Stradivari" von anderen Fabrikaten unterscheiden (Ein berühmter Test, dem sich Isaac Stern und drei weitere berühmte Geiger unterzogen, bewies: keiner von ihnen konnte seine eigene Geige wiedererkennen, geschweige denn die anderen 'Marken') - Heifetz habe eine geradezu perfekte Technik gehabt (Der berühmte Fehler, auf Schallplatte aufgenommen für die Nachwelt, beweist das Gegenteil) usf. Wie kein anderes Instrument hat die Geige in der westlichen Musik eine Aura gewonnen, die weit über ihre eigentliche klangliche Funktion hinausreicht. Der im 17. Jahrhundert beginnende Siegeszug der Instrumente der Streicherfamilie hat die Geige als führendes und melodietragendes Instrument, sei es im Orchester, in kleineren Besetzungen oder in der solistischen Rolle zu einem Sinnbild des "Klassischen" in der Musik werden lassen. Ihre Flexibilität und Körpernähe prädestinierte die Violine als Träger eines neuen subjektiven und affekthaftigen Ausdrucks. So erreicht die Geige im 19. Jahrhundert den Zenit ihrer Stellung und charismatischen Ausstrahlung. Der "Teufelsgeiger" (Paganini war wohl seine dämonischste Inkarnation) verkörpert weit mehr noch als der "Tastentitan" den Typus des virtuosen Solisten schlechthin. Um die Geige rankt sich, anders als um die "Maschine" Klavier, wenn wir von dessen "Erwärmung" durch Joseph Beuys einmal absehen, der Mythos des Organischen und Antropomorphen. In diesem Assoziationsfeld sind ihre Symbolisierungen vielfältig und ambivalent: Identifikation mit dem weiblichen Körper, mit den himmlischen Gefilden, aber auch mit "dunklen" religiösen Zügen bis hin zur Allegorie des Knochenmanns, der mit seiner Fiedel im "hohlen, fahlen Quinten zu einem letzten danse macabre aufspielt. Die Violine ist eine lkone des Wohlstands, der Qualität, der Eleganz, des feinen Geschmacks und vergangener "goldener" Zeiten. Bei Auktionen, in Ausstellungen und historischen Sammlungen erweist sich die Violine als gesuchtes Kunst- und Sammelobjekt. Das als beseelt gedachte Instrument ist zum Fetisch im doppelten Sinne geworden: als kostbares materielles Objekt und als Träger einer (vermeintlich) unverwechselbaren Klangpersönlichkeit. Das Projekt THE RELATIVE ViOLIN will dazu beitragen, die weitgehend erstarrte auratische Tradition der Violine wieder in Fluß zu bringen, eine Tradition, die sich, getragen durch das gehobene Konzertleben und durch affirmative Strategien der Tonträger-Industrie, mehr oder minder unverändert aus dem 19. Jahrhundert bis heute perpetuiert hat. Mit der solistischen Geige als Angelpunkt such das Festival aus einer gegenwärtigen und interkulturellen Perspektive die Auseinandersetzung mit dem so populären wie doch auch bizarren Klanggerät. Dies geschieht durch eine Vielfalt von Darstellungsformen: in Konzerten und Performances, in einem audio-visuellen Einvironment mit Installation, das dem Zugriff der Besucher offen steht, mit Hörspielen, Filmen, Texten und Bildern. So wird ein Rahmen angeboten, in dem durch hochgradige Verdichtung, durch Kontrast und Kollision sich neue Verbindungslinien des Verständnisses bilden könnten. Die Struktur des Mythos Geige wird zerlegt und als variable Bedeutungsmatrix neu zusammengesetzt:
Der Klang:
Die Form des Instruments:
Der Geiger: die Art und Weise des Gebrauchs der Violine außerhalb der europäischen Konzertmusik bzw. die Formen ihrer Assimilation in nicht-westlichen Kulturen, etwa in der südeuropäischen Volksmusik, im Jazz oder in der indischen Musik, legt Verstehensdifferenzen zwischen den verschiedenen kulturellen Räumen und Schichten frei.
Das Bild: Mit dem Medium Hörspiel und Film werden in freien und spielerischen Diskursformen Geschichten und Legenden, Anekdoten und Phantasien um die Violine und ihre Psychologie aktualisiert. |