KUNSTRADIO


Soundart und Radiokunst in Australien


TONBEISPIELE von
Alan Vizents, Philip Brophy, Warren Burt, Chris Mann und Ania Walwicz


Moderation:
In Australien haben das öffentliche und das kommerzielle Radio ungefähr zur gleichen Zeit ihren Anfang genommen und zwar in den späten 20er Jahren. Neben dem öffentlich rechtlichen Rundfunk - der ABC - und den kommerziellen Radiostationen bestehen auch noch alternative, der Gemeinschaft oder Minderheiten dienende Radiostationen. Diese Stationen werden zum Teil aus Steuergeldern finanziert, ergänzt von freiwilligen Spenden der Hörer und Sponsorbeiträgen. Werbung im eigentlichen Sinne gibt es nur in kommerziellen Sendern. Eine der Minderheiten-Sender verliest nur Informationen für Menschen, die nicht lesen könnnen, weil sie z.B. das Augenlicht verloren haben. Ein anderer Sender wiederum bringt Programme in allen in Australien vertretenen Sprachen darunter auch in Deutsch. Ein dritter Alternativsender AAA spielt eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Stadt Melbourne und bringt unter anderem auch experimentelle Musik, Hörspiele und andere radiophone Formen.
Wie etwa "Perth", eine Arbeit aus dem selbstverwalteten Kunstzentrum Media Speace, in dem häufig Audio Art entstanden ist, die dann ihren Weg in Radiostationen fand. Leiter von Media Space war lange Jahre der Soundpoet, Radiokünstler und Bildhauer Alan Vizents, der auf die australische Medienkunst einen starken Einfluß ausgeübt hat bis er 1986 starb. Der Künstler Alan Vizents stammte aus Kalifornien und machte in Perth zunächst und unter anderem Skulpturen aus Sesseln und Stühlen. Dazu Nicholas Zurbrugg: "Diese Soundskulptur entstand indem Vizent das Mikrofon an einem Sessel entlang bewegte. Nachdem er eine Zeitlang abstrakte Audioskulpturen gemacht hatte, begann Vizents das zu erforschen, was man als Äquivalent zum futuristischen oder dadaistischen Simultangedicht betrachten könnte."

"Fill it up and triplicat" eine in einem Radio gesendete und in dieser Version von einem Tonbandhintergrund begleitete Performance von Alan Vizents. Das Stück bezog sich auf das bürokratische Ausfüllen von Formularen. "Es handelt sich hier um ein semiabstraktes Gedicht, das aber seine semantischen Bezüge hat - und das ist charakteristisch für einen großen Teil der australischen Sound Art. Sie ist oft satirisch und häufig autobiographisch" meinte Nicholas Zurbrugg. Alan Vizents war häufiger Gast der Sendung Surface Tension der Australian Broadcasting Cooperation ABC in Sindey. Surface Tension war eine wöchentliche 2 Stunden Sendung, die sich um experimentelle Inhalte aus den verschiedensten Bereichen und ihre Präsentation in adequaten, experimentellen Radioformen bemühte - und zu einem Motor der Radiokunst geworden ist.

"Soft": Ein Beispiel aus der Flüsterpoesie von Ania Walwicz. Mittschnitte der Flüster-Gedichte von Ania Walwicz waren im australischen Hörfunk, der eine wichtige Rolle als Mitveranstalter von Audio Art Fesitvals spielt, zu hören. Das Gedicht "Soft" handelte von dem angenehmen Zustand im Bett zu liegen und an weiche Dinge zu denken. Als Malerin naiver expressionistischer Bilder hat Ania Walwicz auch für ihre Flüsterpoesie eine naive, expressionistische, intim-erotische Diktion entwickelt.

"Still Rock`n Roll to me" hieß eine von 8 Auftragsarbeiten für die Serie Composing for Radio, die aus Mitteln der australischen Kunstförderung finanziert im Auftrag der Public Broadcasting Association for Australia entstand. Die Auftragsarbeit "Still Rock`n Roll to me" stammte von einer Künstlergruppe rund um Philip Brophy. Sie hat viele verschiedene Teile: rein musikalische aber auch gespielte Szenen, fiktive Interviews, Radiowerbung, Radioessays usw.. Es ging vor allem um die Auseinandersetzung mit Popkultur, Popmusik und Popart. Philip Brophy und die immer wieder wechselnde Künstlergruppierung rund um ihn herum beschäftigte sich in den verschiedensten Medien mit allen möglichen kulturellen Formen: von der Werbung über die Disco, den Film, die Fotographie, die Kasette, die Schallplatte, die Multimedia-Performance bis zur Malerei und dem theoretischen Diskurs. Brophy ist wie viele der anderen an interdisziplinären Formen und damit auch am Radio interessierten Künstler in Australien, eng verbunden mit dem Cliften Hill Community Music Center in Melbourne. Vor allem um das Cliften Hill Music Center herum entstanden in den letzten 20 Jahren Kasetteneditionen, Schallplatten und theoretische Publikationen. Mitbegründer des Cliften Hill Community Music Center in Melbourne ist Warren Burt.

Zu Warren Burt meint Nicholas Zurbrugg: "Es ist bezeichnend, daß Warren Burt nicht nur die oft abstrakte menschliche Stimme orchestrierte, sondern z.B. auch die Sidney Harbour Bridge und zwar so, wie sie die Ingenieure der ABC aufgenommen haben: mit den Geräuschen der Züge die den Hafen von Sidney überqueren. Wie viele ander Audiokünstler in aller Welt versucht also auch Warren Burt, die Atmosphäre einer Stadt oder einer Landschaft einzufangen."

"Sidney Harbour Bridge" von Warren Burt wurde schließlich Teil eines 2 stündigen Auftragswerkes, das die ABC Sidney an 5 Künstler vergab - und zwar aus Anlaß des 200 Jahrjubileums Australiens 1988. Die 5 Künstler arbeiteten eng zusammen und nannten ihr vielteiliges Werk "Words and Sounds in the Australian Landscape" - Worte und Klänge in der australischen Landschaft. Wie z.B. ein Sonnenaufgang am Lake Robinson in Tasmanien von Warren Burt mit einer Melodie, die aus dem Umriß der tasmanischen Küste entstanden ist.

Ein anderes Beispiel aus der australischen Landschaft hieß "An der Nordwest Kante des Wolf-Creek-Kraters stehend". Es handelte sich um ein Gedicht von Chis Mann, begleitet von aneinander geriebenen Sandsteinfelsen.

Nicholas Zurbrugg über Chris Mann:"Chris Mann repräsentiert sowohl den musikalischen Einfluß auf die australische Audio kunst, wie auch einen ziemlich aggressiven politischen Einfluß, der nationalistisch und vor allem Anti-Groß-Britannien und man darf annehmen, auch Anti-USA gefärbt ist." Und Zurbrugg weiter: "Chris Mann legt großen Wert darauf, daß seine Kunst nicht als Hochkunst eingestuft wird. Als seine Quellen bezeichnet er Alltagsgeschichten, Spiele, Lieder Witze, Nonsensworte aus der populär Kultur, die Mann im Gegensatz zu einer bürgerlichen Kultur zu einer Kunstkultur sieht. Das für Mellbourne und seine Soundpoeten spezifische Anliegen, die Sprach als einen Teil der populär Kultur zu behandeln, betrachtet Chris Mann als revolutionäre Haltung, vergleichbar mit großen Beispielen aus Frankreich, der Sowjetunion China oder Kuba."

Chris Mann der jahrelang in intensivem Kontakt und Diskurs mit der britisch-australischen Gruppe "Art and Language" stand, hat für das Radio ganz eigenständige Projekte entwickelt. In Zusammenarbeit mit der ABC entstand auch das Projekt "Blue Moon", bei dem jeden Morgen eine von 100 Versionen - darunter auch viele neue Auftragskompositionen - des Songs "Blue Moon" gespielt wurde.
In einer anderen seiner Arbeiten, die er ein Spiegelstück nannte, ließ Mann dasselbe Signal durch den rechten und linken Kanal gehen. Eines davon wurde verkehrt abgespielt. Nachdem Mann dieses Stück konzepiert hatte, fand er heraus, daß diese Technik in Irland als eine Methode der Gehirnwäsche eingesetzt wird.



1989 CALENDAR 1