KUNSTRADIO


I.

"Das Konzert der Dinge"


von Fritz Ostermayer


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"Das Konzert der Dinge"
ein Beitrag zum Thema Maschinenmusik - Musikmaschinen
von Fritz Ostermayer:

"Das antike Leben war nur Schweigen. Erst mit dem Erfinden der Maschinen im 19. Jahrhundert wurde das Geräusch geboren. Heute beherrscht das Geräusch souverän die Empfindungen der Meschen. Heute sucht die Musik eine Verschmelzung der dissonantesten, fremdartigsten und grellsten Klänge. Diese Entwicklung verläuft parallel mit der zunehmenden Vermehrung der Maschinen, die an der menschlichen Arbeit beteiligt sind. Wenn wir heute tausend verschiedene Maschinen haben und tausend verschiedene Geräusche unterscheiden können, dann können wir morgen, wenn neue Maschinen entstehen, 10 000, 20 000 oder 30 000 verschiedene Geräusche unterscheiden. Dann können wir die Motoren und Maschinen unserer Indurstriestaaten eines Tages aufeinander abstimmen, sodaß jede Fabrik in ein berauschendes Geräuschorchester verwandelt wird. Warum reproduziert ihr italienischen Futuristen alleruntertänigst die Geräusche unseres alltäglichen Lebens nur mit Oberflächlichkeiten und Peinlichem. Ich träume von Instrumenten die dem Gedanken gehorchen und die mit Hilfe eines Schwalls von unvermuteten Klangfarben sich für Kombinationen anbieten, die ich ihnen auferlegen möchte. Und die sich den Forderungen meines inneren Rhythmus beugen."

Die überschwenglich Anbetung der Maschine ist längst durch Mißtrauen ersetzt. Der naive Optimismus längst verschwunden. 1913 proklamierte der italienische Futurist Luigi Russolo hymnisch die lärmende Zukunft der Musik. 1917 mußte er dafür von Edgar Varese die erste Kritik einstecken.

Heute ist es klar: die Futuristen irrten mit ihrer simplen Arrangierung von Alltagsgeräuschen. Und Vareses Schelte erwies sich als prophetisch. Die Instrumente von denen er träumte sind als japanische Massenartikel mitlerweile schon im Spielwarenhandel erhältlich. Maschinenmusik- Musikmaschinen. Die Maschine als Musikinstrument zweckentfremdet. Die Maschine als Instrument von Musikingenieuren gebaut. Menschmaschinen - Computermenschen. Begriffsverwirrung macht sich breit. Was ist Maschinenmusik? Im pragmatischsten und weitesten Sinn fast die gesamte Hitparade der Gegenwart. Besteht doch das notwendige Equipmentfür eine moderne Pop-Produktion nur mehr aus einem Menschen und einer Vielzahl von Maschinen: Syntheseizer, Sampler, Drumm-Computer, Sequenzer usw. Trotzdem spricht niemand von Maschinenmusik, denn der Zweck dieser Maschinen ist die Simulation herkömmlicher Instrumente, die digitale Kopie analoger Signale. Ihr Ziel ist das jeder Maschine - Rationalisierung von Arbeit und in der Folge Wegrationalisierung von Arbeitskräften, sprich Musikfacharbeitern. Das Prinzip des Musikmarktes und der Musikindurstrie ist das der Verschleierung. Je natürlicher der künstliche Klang, desto besser. Syntheseizer der neuersten Generation haben schon den Humaneizer eingebaut, ein Modul, daß die glatte Perfektion der Maschine durch rhythmische Minimalschwankungen wieder vermenschlichen soll. Eine großartige Perversion, das artifizielle Menscheln.

Was ist Maschinenmusik? Im engeren und eigentlichen Sinn ein Terminus der Kunstgeschichte. Und das erste auf Phonographen aufgezeichnete Stück Maschinenmusik dieser Kunstgeschichte ist: "Das Erwachen einer Stadt" aus dem Jahre 1914 von dem Komponisten Luigi Russolo. Sein Maschinendrum nannte er Intenarumori. So armselig begann The Art of Noise. Arm, sehr arm die musikalische Ausbeute der Intenarumori, der Lärmerzeuger. Zu sehr liegen Russolos Bezugspunkte im 19. Jahrhundert, in der Wechselwirkung zwischen Industriewelt und freier Natur. Doch auch wenn das Ergebnis selbst mager war, so revolutionierte es dennoch die Vorstellung von Musik. Russolo gebührt immerhin das Verdienst, als erster das Geräusch in die Musik einbezogen zu haben. So schuf er die Basis für eine fortschreitende Entwicklung dessen, was Musik sein kann, Musik genannt werden darf. Die Inkonsequenz der italienischen Futuristen ist derjenigen der heutigen Pop-Produzenten nicht unähnlich und besteht darin, daß sie die uns umgebenden Geräusche, die Readymade Musik, nur imitieren, nicht direkt benutzen wollten. Das Rumorharmonium Russolos als Motorlärmimitation, der Samplingsyntheseizer als Orchesterimitation. Radikaler dachten und werkten die russischen Futuristen und die Vertreter der Proletkult Bewegung der Revolutionsjahre. Die Musik sollte alle Geräusche des Maschinenzeitalters, den Rhythmus der Maschinen, das Getöse der Großstadt und der Fabriken, das Surren der Treibriemen oder das Knattern der Motoren umfassen. Echte Motoren und nicht die Simulation. In Rußland ernannten die Künstler die Produktionsmittel selber zu Instrumenten. 1918 begannen Arsenje Afranov und andere Komponisten mit Versuchen für Sirensinfonien in St. Petersburg. Die erste Aufführung in großem Umgang fand am 7. Novermber 1922 in Baku statt. Das aufgezählte Instrumentarium liest sich wie ein militärischer Auf- oder Abrüstungskatalog: Die Nebelhörner der kaspischen Flotte, sämtliche Fabrikssirenen der Stadt, 2 Kanonengeschwader, einige Infanterieregimenter, eine Maschinengewehrabteilung, Wasserflugzeuge und ein Chor bestehend aus 250 000 Männe und Frauen. Der Dirigent stand auf dem Dach eines hohen Fabriksgebäudes und gab die Einsätze durch das Wacheln verschiedenfärbiger Fahnen. Ein smater englischer Augenzeuge schrieb 1927 lapidar: "Das Konzert war sehr beeindruckend. Es mag niemanden überraschen, daß die Musik weit über die Stadtgrenzen von Baku hinaus gehört werden konnte." Großfartige Maschinenmusik.

Was ist Maschinenmusik? 1962 begann der New Yorker Künstler Joe Jones aus herkömmlichen Instrumenten Musikmaschinen zu basteln. Jones interessiert an der Mechanik weniger die präzise Reproduktionstechnik, als viel mehr ein spielerisches, sich selbst komponierendes Element. Die Mechanik seiner Musikmaschinen bestimmt selbständig Tonhöhe, Dynamik und Rhythmus seiner Maschinenmusik. Jones läßt z.B. mit Hilfe kleiner Elektromotoren Bögen selbständig über Violinensaiten gleiten und baut dabei Zufallshindernisse ein. Mit seiner Kunst steht Joe Jones damit - teilweise auch Jean Tingueli - in der Tradition der ältesten Musikmaschinen überhaupt: dem mittelalterlichen Glockenspiel in astronomischen Uhren, den Spieldosen, später den mechanischen Drehorgeln und automatischen Flötenwerken. Einmal aufgezogen, aufgedreht, angeknipst rennt das Werkel. Hier wird das Automatische selbst Gegenstand der Optik. Das Instrument zum Objekt der Bildenden Kunst und der Hörer gleichzeitig zum Betrachter. Das radikal zu Ende gedachte Beispiel dieser Maschinenmusik bzw. Musikmaschinen findet sich seit den 50er Jahren in Zehn-und-Spechts-Cafe in Antwerpen. Ein Robotermusikensemble: menschlich gekleidet und wie Menschen die Instrumente bedienend. Musizierende Menschmaschinen. Konstruiert Jahre bevor das deutsche Musikerkollektiv "Kraftwerk" sich selbst konstruierte.

Was ist Maschinenmusik, wenn die Maschinen schweigen? Nicht still stehen, sondern immer leiser und leiser werden, wenn die gigantischen Maschinenparks der Produktion computergesteuert vor sich hin summen, wenn das industrielle Zeitalter endgültig vom postindustriellen abgelöst sein wird? George Antheiles rotierender Flugzeugpropeller, der 1926 in seinem "Balett Mecanique" noch ein revolutionäres Musikinstrument war, besitzt heutzutage den akustischen Seltenheitswert eines Krummhorns. Zählt doch selbst schon die Düse zu den alten Blasröhren. Der Pionier Russolo irrte, als er die Vermehrung wundersamer Geräusche ins Unendliche prophezeite. So wie die Maschinen immer kleiner werden, so reduziert der Wechsel vom mechanischen zum digitalen Prinzip auch wieder die Vielfalt der Arbeitsweltgeräusche. Computer klingen im Prinzip gleich. Ist das die Maschinenmusik von heute? Sie ist es und in einem Punkt trifft sie sich mit der von gestern: Der Sound einer Großrechenanlage erzählt als rein ästhetisches Phänomen genausowenig von den Problemen der Arbeitswelt wie der alte Dröhnklang der Turbinen. Noch ist ein gestaltender Mensch notwendig - oder doch nicht? Percey Granger, 1882 bis 1961, Klaviervirtuose und Musikmaschinist: "Zu lange war Musik der Beschränkung durch die menschliche Hand und des sich einmischenden Interpreten ausgeliefert. Maschinen tun not. Maschinen sind höheren emotionalen Ausdrucks fähig als Menschen."




1988 Calendar 2