KUNSTRADIO


II.

"Wellenartillerie"


illustrierte Auszüge aus einem Vortrag von
Friedrich Kittler


PLAY
"OZEANFLUG"
von Brecht, Weil & Hindemith


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"Der Krieg ist der Vater aller Dinge." Was die Entstehung des Mediums Radio anlangt, stimmt Platons gefährliches Postulat. Der Schützengraben ist tatsächlich der Vater des Massenradios. Dies bewies der Literatur- und Medienwissenschaftler Friedrich Kittler in einem Vortrag mit dem Titel "Wellenartellerie" den er anläßlich des Radiokunstsymposiums beim steirischen Herbst hielt. Bei diesem funk- und kriegstechnischen Exkurses nahm Kittler in seiner Rede bezug auf klassische Zwischenkriegshörspiele wie "Ozeanflug" von Bertold Brecht, Kurt Weil und Paul Hindemith, "SOS Rao Rao Foyn Krassin rettet Italia" von Friedrich Wolf und "Douaumont" von Eberhard Wolfgang Möller.
"Wellenartellerie"

von Friedrich Kittler

Im Frebruar 1934 nach den Straßenschlachten zwischen Republikanischem Schutzbund einerseits und Austorfaschismus andererseits, resümierte ein wahrlicher Experte nämlich der Militärattache der österreichischen Botschaft in Rom die Brügerkriegslage mit klaren Worten:

"Die italienischen Zeitungen haben recht, wenn sie erklären, die österreichische Regierung habe vorwiegend mit zwei Dingen so rasch gesiegt - mit der Artellerie und mit dem Radio." Bei allem Respekt vor Militärattaches und verbündeten Journalisten diese Unterscheidung zwischen einem Waffensystem und einem Medium - zwischen Artellerie und Radio - war nicht mehr ganz auf der Höhe von Zeit oder Lage. Denn wenig später prägten großdeutsche Kollegen als sie zur propagandistischen Vorbereitung des Blitzkrieges schritten, und das heißt im Konkurrenzkampf mit der BBC das größte weltweite Kurzwellennetz aufbauten, dafür - also für dieses Kurzwellennetz - den Begriff Wellenartellerie. Unser Jahrhundert zählt nicht einfach wie alle Epochen zuvor Nachrichtentechniken und Waffensysteme zusammen, sondern es entwickelt die Nachrichtentechniken selbst als Kriegstechniken. Wellenartellerie war folglich nicht nur das Kurzwellennetz Großdeutschlands, sondern auch die RAVAG der Regierung Dollfuß.

Nach dem Zeugnis eines Betroffenen nämlich, hätte der Schutzbund das Wiener Funkhaus noch vor dem ersten Schuß besetzen müßen. Daß es nicht geschah, war der Anfang vom Ende einer Sozialdemokratie, die - um das auch noch zu erwähnen - nur hier in Graz die Kabelverbindung des Senders mit Wien erfolgreich unterbrach. Also eine Kette medientechnischer Versäumnisse, aus denen, wie in strategischen Lagen üblich, die Gegener Lehre und Konsequenz zogen: Erstens lief der SS-Putsch vom Juli 1934 - also nur 5 Monate später - als vermutlich erster Radioputsch der Geschichte auf eine Besetzung eben dieses Wiener Funkhauses hinaus - wo der Sprecher mit der Pistole an der Stirn gezwungen wurde eine falsche Meldung abzusetzen. Zweitens machte die Regierung Dollfuß ihr volkshochschulisches Kunstradio im Februar 1934, also während der Kämpfe mit dem Schutzbund plötzlich mobil. Erstmals erhielt der bislang von Ministerien versorgte österreichische Rundfunk, wenn auch nur kurzfristig, eine echte Nachrichtenredaktion im eigenen Hause. Erstmals richteten Techniker der RAVAG, die ja schließlich aus Geräten und Gebäuden des ehemaligen kaiserlichen Weltkriegsheeres schon entstanden war, wieder eine Abhörstelle für Auslandssender ein. Genau das ist es, was auch meine Rede hier versuchen soll, nämlich das Abhörmedium Rundfunk selbst abzuhören. Das Kunstradio mit einer echten Nachrichtenredaktion kurzzuschließen und im Hörspiel - dieser einzigen entwickelten Radiokunst - einen Nachhall jener Wellenartellerie aufzufangen, welche nach einem Wort Foulcauts den eliptischen Gott der Schlachten verkündet und ihn allein.

"Zu wem spricht, wer im Radio spricht", fragte Wolfgang Hagen von Radio Bremen und gab in Kenntnis nicht nur der schalltoten Aufnahmeräume des Radios folgende Antwort: "er spricht zu den Toten". Die umgekehrte Frage, die ich gerne stellen möchte, lautet: was haben die Hörspiele gehört, als sie in Zeiten vor Fernsehshows und Computeranimationen von den Leuten noch gehört wurden? Mein Antwortvorschlag: gehört wurden die Toten all der technischen Kriege die seit 1896 mit Funk und um Funk geführt werden. Alle Radiopatente mündeten im Ersten Weltkrieg, wo sie erstmals massenproduziert wurden. Das Hörspiel konnte beginnen. Von Trommelfeuerüberfällen abgesehen hingen die Soldatenohren an Wechselsprechanlagen für Feldtelefon und Befehlsfunk. Bis einige Stäbe - britische, deutsche, usw. - im Frühjahr 1917 Erbarmen zeigten. Ehemalige Funkingenieure - jetzt Militärs - unterbrachen die Öde des Wechselsprechverkehrs, der immer nur Feindlagen und Artelleriestellungen durchgab, und sendeten zur Abwechslung auch Zeitungsartikel und Musikschallplatten. Durch diesen Mißbrauch von Heeresgerät, wie es ausdrücklich hieß, wurden die Funker in ihren Schützengräben, Bunkern und Kasematten das erste Radiomassenpublikum.

"Erstes Rundfunkkonzert... Eine Erinnerung aus dem Schützengraben" überschrieb Eduard Meier seinen Beitrag für die Zeitschrift Funk 1924. Rundfunkkonzerte heißt es dort ein Jahr nach Einführung des deutschen Rundfunkes, Rundfunkkonzerte "sind in den letzten Jahren große Mode geworden. Als ich zum ersten Male ein solches Konzert hörte, war unsere Technik noch nicht so weit fortgeschritten wie heute. Diese erste Funkunterhaltung gaben uns nämlich im Jahre 1917 während der Kämpfe unfreiwillig ein paar französische Künstler." Meiers Kriegsbericht erzählt die Tragikkomödie einer doppelten Abhörschlacht. In den artelleriegeschützten Kalksteinhöhlen der Champagne haben deutsche Funker eine hochverstärkende Erdfunkstation eingerichtet, also feindliche Feldtelefonleitungen über ihre scheinbar nutzlose Erdung angezapft. Nun gibt die abgehörte französische Divisionsvermittlung aber nicht nur kriegswichtige Inforamtionen durch oder preis, sie lädt ab und zu auch Klavier- oder Geigenspieler ein. Rezeption und Interzeption, Kopfhörerunterhaltung und Spionage fallen deutscherseits zusammen. Erst wenn die Abhörfunker dreist genug werden, zum Abhörkonzert auch noch ihre Offiziere per Funk in die vorgeschobene Höhle einzuladen, geschieht das Entzetzliche. Ein Volltreffer am Höhleneingang, 9 Tote, 14 Schwerverletzte. Tags darauf kann Meier auch dieses finale Hörspiel aus Feindmorsesprüchen entziffern. Die Franzosen haben nämlich ihrerseits damit begonnen den deutschen Funkverkehr und damit auch den abgehörten eigenen Funkverkehr abzuhören. Ihr Volltreffer war gezielt und Meiers Rundfunkunterhaltung von 1924 ein Kriegsspielplayback im gefahrlosen Zuhörersessel. Hörspiel nach dem Ersten Weltkrieg hieß seine Todesgefahren wieder hören und als Komödie, als Playback oder als Simulation inszenieren. Im Hörspiel den Soundtrack eines Krieges vorzuspielen der die Sinneswahrnehmung oder Merkwelten der Leute wahrlich revolutioniert hatte, war unter allen Anschlußmöglichkeiten des neuen Kommunikationsmediums die eleganteste Anschlußmöglichkeit.

So liefen und laufen also einerseits jene großen Hörspiele weiter, die Generalstäbe und ihre Panzerbesatzungen oder Entwicklungsbüros und ihre Testpiloten auf allen möglichen Frequenzen verschallten bis in den Gigaherzbereich hinein - aber deswegen eben nicht abegört werden dürfen. Und andererseits gibt es vier schmale Frequenzbänder auf denen mit Erlaubnis der Post das Zivilradio Schallplatten und Zeitungsartikel für Millionen sendet - ganz wie einst im Schlamm von Flandern. Erst als Massenmedium wurde der Rundfunk zu diesem Totenreich. Dagegen ist Bert Brecht bekanntlich bereits in den 20er Jahren aufgestanden. Ja und anderen Schriftstellern die die Literatursendungen des neuen Rundfunks einfach belieferten, setzte Bert Brecht im Unterhaltungsrundfunk eine Theorie und eine Praxis entgegen.

Brechts Radiotheorie gipfelte in der Forderung, den Rundfunk aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Seltsam nur, daß Brecht die funktechnische Revolution ausrief, ohne die funktechnische Kontrarevolution 9 Jahre zuvor auch nur zu erwähnen. Das erst die Fernmeldegesetze von 1923 einen Kommunikationsapparat in einen Distributionsapparat umgestellt hatten, fiel ihm gar nicht mehr ein. Von der Staatssicherheit als guten Grund dieser Maßnahme ganz zu schweigen. Brechts Radiotheorie beruhte folglich auf der ebneso liebenswürdigen wie falschen Voraussetzung einer, wie Brecht sie nannte, anarchischen Gesellschaftsordnung wo ich zitiere: "Erfindungen gemacht werden, Erfindungen ausgebaut werden, die sich ihren Markt erst erobern müßen, ihre Daseinsberechtigung erste beweisen müßen - kurz Erfindungen die nicht bestellt sind". Als wäre der Generalstab kein Auftrageber für Bestellungen und die Strategie des Bewegungskrieges keine Daseinsberechtigung für Technologien. Was wundert, daß sich die Verwechslung von Anarchie und Strategie am Strategen der Hörspeilrevolution selber rächte. Brecht Hörspiel "Ozeanflug" von 1929 feierte an Lindbergs erster Atlantiküberquerung alles mögliche, das Flugzeug, die Motorengeräusche, den Rauschpegel oder Widerstand der Elemente Wind und Wasser, vor allem anderen aber natürlich den Beistand der namenlosen Arbeiterklasse, ohne die die Maschine nie gestartet wäre. Vom ebenso namenlosen, ebenso unumgänglichen Beistand der Sprechfunkverbindung dagegen kein Wort. In Brechts "Ozeanflug" kam der Kommunikationsapparat als Basis des ganzen Flugexperiments einfach nicht vor. Kein Wunder, daß die erträumte Verwandlung von Brechts Hörspiel vom Distributionsapparat zum Kommunikationsapparta scheitern mußte. Brechts schrecklicher Eindruck, das Radio sei eine unausdenkbar alte Einrichtung die seinerzeit durch die Sinnflut in Vergessenheit geraten war, faßte seine eigene vorsinnflutliche Dramatisierung einer Weltkriegstechnologie brilliant zusammen. Aber nicht alle Hörspielschreiber und auch nicht alle Linken vergaßen die Sinnflut alias great war so gründlich.

Im gleichen Jahr schrieb Friedrich Wolf nachmals Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik in Moskau "SOS Rao Rao Foyn Krassin rettet Italia". Sein Soundtrack über die Rettung eines gescheiterten Polarfluges von 1928 reduzierte den Mythos des Fliegers auf das, was er unter hochtechnischen Bedingungen ist - auf Funk und Fernsteuerung. Ein deutsch-russischer Amaterufunker an der startegisch wichtigen Murmanküste fängt zwischen lauter Kurzwellenunterhaltung die seine Mutter amüsiert die SOS Signale des abgestürzten italienischen Flugzeuges auf, worauf hin die benachrichtigte Sowjetmacht - um auch Faschisten erstens ihren Humanismus und zweitens ihre technische Überlegenheit zu beweisen - funktechnische Rettungsflugzeuge und Eisbrecher losschickt. Daraufhin wird schließlich nicht nur General Umberto Nobile gerettet, sondern auch die namenlose Mannschaft die er im Stich ließ. Wilhelm Hoffmann der einzige Hörspieltheoretiker mit einem Doktorhut von Martin Heidegger, schrieb 1933: "Ein primäres funkisches Thema ist der Tod". Der Funkverkehr am Rand des Todes trägt das Hörspiel nicht nur bei Wolf. Er hat einer ganzen Zwischenkriegszeit die vergessenen Heeresfunker als Gespenster zurückgeholt. Hörspiele wie "Brigardevermittlung" von Ernst Johannsen oder "Douaumont" von Eberhard Wolfgang Möller brachten Ursprung und Schauplatz aller Radiokunst tatsächlich wieder zum Zusammenfall. Als dramatisierte Forschreibungen von Meiers Kriegserinnerung stiegen beide Hörspiele hinab in die Schützengräben und Unterstände des Ersten Werltkrieges. Es war die Pointe von Möllers Höspiel "Douaumont" einen der Toten von Douaumont vor Verdun in die Zwischenkriegszeit und nach Hause nach Berlin zu befördern. Dort verkündete dieser zunächst als Fleisch gewordene Störung, die Archeologie des Radios - Zitat: "Douaumont da geht euch die Rede aus, daß wollt ihr nicht hören". Dann schritt der Tote zur Tat - beschwor und kommandierte solange bis die Granaten von Douaumont 1916 im Berlin der Handlungsgegewart 1929 selber einschlugen. Das Hörspiel als Feedback eines Weltkrieges, wie zu beweisen war."




1988 Calendar 2