KUNSTRADIO


II.

"Keeping on Top of the Top Song"

von Ian Murray


Ian Murray über Keeping on Top of the Top Song:
"1970 machte ich eine Arbeit die sich mit den Nummer 1 Hits beschäftigte. Viele Discjokeys und Regisseure hatten mir erzählt, daß die ersten 10 Sekunden einer Nummer das sind, was zählt. Ich nahm also die ersten 10 Sekunden der 100 Nummer 1 Hits der vergangenen 10 Jahre und machte daraus das Stück "The Topsong"." "Keeping on Top of the Top Song" bestand dann daraus, daß ein Percussionist engagiert wurde, der das Stück noch nie gehört hatte und der die Aufgabe hatte, den Rhythmus herauszufinden und ihn zu halten, der allen 100 Nummern gemeinsam war."


Zu Beginn des Jahrs 1988 konnte man im Museum für zeitgenößische Kunst in Vancouver eine Ausstellung besuchen, die aus mehreren Radiosendungen, einer Fernsehsendung und 2 Installationen bei denen sowohl Sound wie auch die Publikumsbeteiligung eine Rolle spielten bestand. Es war dies eine Ausstellung des kanadischen bildenden Künstlers Ian Murray. Auch in Wien war Ian Murray bereits vertreten, so nahm er z.B. an der Ausstellung und am Symposium zur Audio-Szene 80 teil. Ian Murrays Atelier oder Studio in Toronto befindet sich, wie sich das für ein Künstleratelier gehört, unter dem Dach eines dreigeschossiges Hauses mit kleinem Vorgarten. Doch außer der Lage gleich unter dem Dach entspricht in diesem Atelier nichts den üblichen Vorstellungen. Es ist ein Raum in dem jeder Winkel ausgenutzt ist, um Video- und Audiogeräte aller Art unterzubringen. Ein richtiges Studio eines unabhängigen Video- und Audioproduzenten, deren Zahl im übrigen dank der immer erreichbarer werdenden Technologie in allen industriealisierten reichen Länderen zumindest ständig wächst. Ian Murray der seine Arbeit mit Video und Audio als Teil seiner Tätigkeit als bildender Künstler sieht, hat sich seit vielen Jahren mit allen Aspekten der Ausweitung der Arbeit des bildenden Künstlers in neuen Medien beschäftigt. Auch was die finanziellen und rechtlichen Veränderungen betrifft, die sich aus einem Wechsel von Pinsel und Leinwand zu elektronischen Medien hin ergeben, in denen es kein Unikat, kein Original, ja oft keine klare Autorenschaft gibt, wie bei der Malerei, der Künstler aber trotzdem noch irgendeine Art von Entgelt für seine Arbeit bekommen muß.

"Radio by Artists" nannte Ian Murray eine Serie von halbstündigen Radioarbeiten von Künstlern wie Laurie Anderson, Michael Snow oder Vito Acconci die er produzierte und dann eben nur gegen entsprechendes Honorar von Radiostationen abspielen ließ. Aber nicht nur die Tatsache, daß Ian Murray von den Radiostationen verlangte endlich aufzuhören, sich von den Künstlern subventionieren zu lassen und statt dessen die Arbeit von Künstlern zu bezahen, verursachte Schwierigkeiten beim Plazieren der Serie "Radio by Artists". Ian Murray dazu: "Jede einzelne Künstlerarbeit unternahm den Versuch, den normalen Fluß des Radioprogramms zu unterbrechen oder in eine andere Richtung umzuleiten, um die Leute auf das aufmerksam zu machen, was die Radioleute gewöhnlich von den Hörern fernhalten. Die Intention der meisten Radioprogramme ist es ja, den Hörer vergessen zu lassen, daß er Radio hört. Er soll sich vielmehr z.B. in ein Gespräch miteinbezogen oder sich als Teil eines immer weiter fließenden Stromes fühlen. Die Künstler arbeiten natürlich in die entgegengesetzte Richtung." Diese entgegengesetzte Richtung untersucht vor allem die Struktur des Mediums Radio und wird nach Ansicht von Ian Murray vorwiegend von bildenden Künstlern verfolgt: "Musiker und Literaten können Radio für die Verbreitung dessen benutzen, was sie ohnehin immer tun. Was mich an der Arbeit bildender Künstler mit dem Medium Radio interessiert ist, daß es ihnen nicht so sehr darauf ankommt, eine vorgefertigte Information unter die Leute zu bringen, sondern vielmehr auf die formale Innovation die daraus resultier, das Medium selbst zu benützen. Es kommt ihnen auf die Analyse des Sendesystems selbst an. Bei den bildenden Künstlern findet man eher den Versuch einer strukturellen Analyse des Mediums und den Versuch einer Auseinandersetzung mit der Struktur des Mediums selbst, mit der Struktur dieser spezifischen Art der Kommunikation. Ich kenne kaum Musiker die solche Arbeiten für das Radio entwickeln. Am ehesten tun das noch die Popmusiker. Aber die zeitgenößische ernste Musik interessiert sich selten für die Manipulation des Mediums selbst. Meine eigene Ästhetik kommt natürlich zu einem großen Teil aus den späten 60er und frühen 70er Jahren, als man sich viel mehr mit dem Medium selbst beschäftigte. Heute sind die Künstler viel eher an dem interessiert, was und wieviel sie durch die Kanäle durchpumpen können als daran, die Kanäle zu verändern."

Ian Murrays eigene Arbeit beschäftigt sich vor allem mit den verschiedenen Formen von Radioprogrammen. So machte er z.B. eine ganze Serie von Arbeiten die sich im Zusammenhang mit der Einführung eines eigenen Programms für die Inuits - die Eskimos von Kanada - mit populären Formen des nordamerikanischen Radios auseinandersetzten: "Da gab es Sendungen über Haustiere, über Pflanzen, über Reisen, über das Wetter, über Popmusik usw. In meiner Tierecke erzählte beispielsweise ein junger Mann davon, wie die königliche berittene Polizei alle Schlittenhunde tötete, damit die Inuits im Winter ihre Kinder nicht aus der Schule fortbringen konnten. Die Reisegeschichte erzählte die Geschichte eines jungen Mannes, der nach Toronto reiste und entdeckte, daß es dort viele Möglichkeiten gab zu trinken, Drogen zu nehmen und mit Huren zu schlafen. Die zweite Reisesendung erzählte von einer Frau die in ein Senatorium mußte, weil sie Tuperkulose hatte. Das ganze war also eine Serie von Versuchen, die normalen Erfahrungen der Inuit mit sogenannten normalen Radioformen zu kombinieren."

Das Stück von Ian Murray, das am häufigsten gesendet worden ist, heißt "Keeping on Top of the Top Song". Dabei handelt es sich eigentlich um eine Performance. Ian Murray: "1970 machte ich eine Arbeit die sich mit den Nummer 1 Hits beschäftigte. Viele Discjokeys und Regisseure hatten mir erzählt, daß die ersten 10 Sekunden einer Nummer das sind, was zählt. Ich nahm also die ersten 10 Sekunden der 100 Nummer 1 Hits der vergangenen 10 Jahre und machte daraus das Stück "The Topsong"." "Keeping on Top of the Top Song" bestand dann daraus, daß ein Percussionist engagiert wurde, der das STück noch nie gehört hatte und der die Aufgabe hatte, den Rhythmus herauszufinden und ihn zu halten, der allen 100 Nummern gemeinsam war. Für Ian Murray ist Radiokunst wie das Stück "Keeping on Top of the Topsong" eine Skulptur im öffentlichen Raum: "Ich betrachte meine Arbeit als skulpturalen Akt. Ich behandle das Material auf eine ganz andere Art als es sonst im Radio bearbeitet wird. Daß die Musik sich alle 10 Sekunden ändert, hat nichts mit dem Inhalt der Musik zu tun oder dem was vorher oder nachher kommt. Es handelt sich um einen bliebig ausgewählten Raster, der über ein sehr breites Spektrum von Material gelegt wird."



1988 Calendar 1