KUNSTRADIO


"Zangesi"


von Velimir Chlebnikow (1885-1922)


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Das Hörspiel "Zangesi" von Velimir Chlebnikow wurde vom Museum of Contemporary Art (MOCA) in Los Angeles produziert und zu dessen Eröffnung im Dezember 1986 als Bühnenversion in der Regie von Peter Sellars aufgeführt. Das MOCA hat eine eigene Radiokunst-Kuratorin und produziert eigene Radiokunst-Sendungen, die es auf Tonträgern verkauft oder die im öffentlichen amerikanischen Rundfunk gesendet werden.



Das Werk des russischen Futuristen Velimir Chlebnikow enthält vieles, was später die Surrealisten, die Wiener Gruppe oder die Vertreter der konkreten Poesie aufgegriffen und weiterentwickelt haben wie z.B. den Hang zum Gesamtkunstwerk oder zu Entwürfen des Unmöglichen. Peter Sellars meint dazu, daß die Russen, wenn sie wirklich wollten, die Erfindung der modernen Kunst für sich allein beanspruchen könnten.

63 Jahre nach der Uraufführung in Petrograd (dem heutigen Leningrad) realisierte der amerikanische Star-Regisseur Peter Sellars Chlebnikows "Zangesi". 1923 wurde das Werk in einer Inszenierung des russischen Konstruktivisten Vladimir Tatlin mit mäßigem Erfolg uraufgeführt. Chlebnikows eigener Definition zu Folge ist die Übererzählung "Zangesi" ein Gebäude aus Erzählungen, eine Erzählung hingegen ein Gebäude aus Wörtern.

"The Territory of Art" ist eine Serie von Audio-Art-Projekten, welche das MOCA gemeinsam mit dem Sender KUFMCA produziert. Die Bandbreite der Hörstücke reicht von traditionellen Geschichten bis hin zu radikalen Konzeptionen wie "noise-programmes" oder akustischem Terror. Allen "Territory of Art"-Programmen ist die in Amerika beliebte Spieldauer von 30 Minuten gemeinsam.

Peter Sellars theatralische "Zangesi"-Inszenierung im neueröffneten MOCA 1986 dauerte über 2 Stunden und mußte daher für die Radiofassung gekürzt werden. "Zangesi" ist nach einem Untertitel Chlebnikows eine "Übererzählung in 20 Ebenen". Peter Sellars wählte aus diesen die 4 einander entgegengesetztesten: eine ruhige, eine grelle, eine abgehoben-ätherische und eine rasant-frenetische. "Zangesi" ist kein Theaterstück oder eine Erzählung im herkömmlichen Sinn sondern ein poetisches tableau oder ein dramatisches Gedicht, das von dem futuristischen Propheten "Zangesi" vorgetragen wird. "Zangesi" spricht in der Sternensprache, in den Formeln der Weltallsprache und der Algebra. Das Zentrum von "Zangesi" ist die Sprache, an deren Erweiterung, Vertiefung und Korrektur Chlebnikow Zeit seines Lebens gearbeitet und als eigene Klangform betrachtet hat . Seine Stile und Verfahren resultieren aus der Reflexion der Sprache und der Beziehung zwischen den Wörtern und den Dingen, die sie bezeichnen. Velimir Chlebnikow war bekannt für seinen improvisatorischen Umgang mit Sprache. So mußte sich das Publikum bei seinen Lesungen mit dem Hinweis "usw." begnügen, zu seinen Verlegern sagte er lapidar: "Wenn ihr etwas ändert wollt, ändert es!"



1988 Calendar 1